"Heimat für Kulturinteressierte"
Ein epd-Interview mit Bettina Kasten und Jana Brandt

Am 26. Oktober startet ARD-Kultur, das gemeinsame Angebot, in dem der Senderverbund seine Kulturinhalte gebündelt präsentieren will. Zum Start setzt die in Weimar angesiedelte Gemeinschaftseinrichtung der ARD unter Federführung des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) auf eine Mischung aus Mockumentary, True-Crime-Podcast, Infotainment, Rollenspiel und Dokumentationen. Programmgeschäftsführerin von ARD-Kultur ist Bettina Kasten (51), die auch zuständig für das Partner- und Projektmanagement ist (epd 41/22). Gleichzeitig mit der Federführung für ARD-Kultur hat die MDR-Programmdirektion Halle, die auch für Kultur und Wissen zuständig ist, im vergangenen Jahr auch die ARD-Kulturkoordination übernommen (epd 48/21). Geleitet wird die MDR-Programmdirektion Halle von Jana Brandt (57). Lisa Konstantinidis sprach mit Kasten und Brandt darüber, welche Inhalte ARD-Kultur bieten will, wie sich das Angebot zu einem Netzwerk entwickeln soll, das als „Kultur-Booster“ wirkt, und wie die Kulturszene von dem Angebot profitieren kann.

epd: Frau Kasten, Frau Brandt, Ende Oktober soll ARD-Kultur starten. Was genau soll dieses gemeinsame Angebot aller ARD-Sender leisten?

Bettina Kasten: Wir wollen die nonlineare Heimat für die Kulturinteressierten in der ARD werden. Das Portal www.ardkultur.de wird die Kulturinhalte der gesamten ARD sowohl im Audiobereich als auch im Videobereich vereinen - und diese Verknüpfung der ARD-Mediathek mit der ARD-Audiothek ist neu. Dafür machen wir uns jetzt auf den Weg. Daneben treten wir auch in Kontakt mit Kulturinstitutionen und verbinden Kulturschaffende miteinander, aber auch mit Fernseh- und Hörfunkschaffenden. Parallel läuft noch der Drei-Stufen-Test. Das heißt: Wir beginnen jetzt und werden das Nutzerverhalten natürlich beobachten und auswerten und daraus lernen. Ab dem 26. Oktober werden erste eigene Formate von ARD-Kultur zu sehen und zu hören sein.

Jana Brandt: ARD-Kultur ist Teil der Kultur in der ARD und gemeinsam mit den Landesrundfunkanstalten werden besondere Anstrengungen unternommen, um die Kulturbranche zu stärken. Bei dieser neuen digitalen Einheit von ARD-Kultur geht es auch darum, die Vielfalt des Gesamtangebots der ARD über Schlagworte sichtbar zu machen. Damit soll ein Schaufenster für Inhalte geschaffen werden, die schon existieren, aber eben neu kuratiert wurden. Wenn mir ein Inhalt oder Genre gut gefallen hat, finde ich über das Portal noch viele andere Produktionen der ARD dazu.

Das Angebot bedient einen sehr breiten Kulturbegriff und möchte eine Reihe von Kulturinteressierten ansprechen. Mit welcher Vision tritt ARD-Kultur an?

Kasten: Zum einen wollen wir mit dem Portal ganz klar ein „Kultur-Booster“ werden. Die neun Landesrundfunkanstalten der ARD liefern viele Kulturbeiträge. Und ARD-Kultur fügt die Vielfalt der Kulturangebote der ARD zusammen und macht sie sichtbarer. Es geht auch darum, neue kulturelle Inhalte zu entdecken und zu präsentieren, die bisher noch nicht zu finden waren. Wie zum Beispiel unser Modeformat „Beyond Fashion“ oder „Pixelparty“, ein Format, das digitale Kulturen erklärt.

Brandt: Mit diesem Ergänzungsgedanken wollen wir sowohl im Video- als auch im Audiobereich nonlineare Neuproduktionen vor allem für 30- bis 50-Jährige anbieten. Und eben auch Genres präsentieren, die in der ARD bisher noch nicht so vielfältig vertreten sind - und da sind Mode, True Crime im Kulturbereich, ein Podcast über Lebenskunst oder Streetart nur Stichworte.

Was ist denn zum Start von ARD-Kultur verfügbar?

Kasten: Kultur ist so allgegenwärtig und wunderbar vielfältig. Konkret freue ich mich auf das Format „Call me DJ!“, weil es eine klare Erzählhaltung hat und Frauen zu Wort kommen, die sonst bei der Betrachtung der Szene hinten runterfallen. Sie erzählen ganz unaufgeregt, wie das Tourleben ist, wie sie mit Schlafmangel, Familie oder ihrer Fitness umgehen. ARD-Kultur setzt generell auf innovative digitale Formate. So wird es neben einer Mockumentary auch Dokumentationen, ein Rollenspiel mit einer Mischung aus Gaming, Theater und Literatur, aber auch Infotainment, einen experimentellen Kurzfilm und einen True-Crime-Podcast geben.

Brandt: „Call me DJ!“ ist eine Neuproduktion von ARD-Kultur und hat eine Vorgeschichte: Die Kulturkoordination der ARD hat sich vorgenommen, sogenannte Exzellenzdokumentationen für die Mediathek zu erstellen. „Techno House Deutschland“ ist eine solche, sie hat ohne eine lineare Ausstrahlung weit über eine Million Zugriffe gehabt. Im ARD-Universum wird man aber lange suchen müssen, um mehr zum Thema Techno zu erhalten. Bei ARD-Kultur findet man mit „Call me DJ!“ jetzt neben „Techno House Deutschland“ eine Produktion, die die Szene aus einem ergänzenden Blickwinkel betrachtet. Wir vernetzen, was zusammengehört.

ARD-Kultur hatte im Vorfeld den Creators-Ideenwettbewerb unter dem Motto „Verbundenheit - wie wollen wir in unserer Gesellschaft zusammenleben?“ ausgeschrieben. Neun Gewinnerprojekte sollen bis Ende des Jahres umgesetzt werden. Wie weit sind die Vorhaben gediehen?

Kasten: Drei Gewinnerprojekte erscheinen bereits zum Launch von ARD-Kultur. Etwa die Langzeitdokumentation „Offline“ über ukrainische und russische Models und Influencer in Berlin, ein Podcast und der Kunst-Talk „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ mit dem Kunst-Comedian Jakob Schwerdtfeger, der neue Perspektiven auf alte Meister eröffnet und den Staub vom elitären Image der Hochkultur fegt. Denn anstelle typischer Kulturfeingeister übernehmen hier handfeste Kunstbanausen die Expertenrolle. Sie alle sind bekannte und erfolgreiche Profis auf ihrem Gebiet, und sie üben einen eher ungewöhnlichen Beruf aus wie der Bestatter Eric Wrede, die Sexualtherapeutin Gianna Baccio oder die Ärztin Dr. Flojo. Die anderen Projekte werden noch in diesem Jahr fertiggestellt. Einzige Ausnahme bildet ein Projekt aus Weimar, das an ein Jubiläum im April nächsten Jahres gebunden ist.

Brandt: Als Teil der Jury habe ich die Vielfalt der Angebote faszinierend gefunden. Wir wussten aus den Erfahrungen der Pandemie, dass die Kreativ- und Kulturbereiche danach lechzen, gesehen und gehört zu werden. Von mehr als 600 Einreichungen waren wir trotzdem überrascht. Zudem zeigt gerade dieser erste Wettbewerb, was ARD-Kultur leisten kann: sich mit Kulturschaffenden vernetzen, die Branche unterstützen und den Arbeiten eine Bühne geben.

Lassen Sie uns über Geld sprechen: Wie steht es um die Finanzierung von ARD-Kultur?

Brandt: ARD-Kultur stehen pro Jahr fünf Millionen Euro zur Verfügung. Damit müssen sowohl das Personal, Portalkosten, Infrastruktur als auch die Koproduktionsanteile, die Produktionsanteile und die Kuratierungsanteile abgedeckt werden. Wir gehen davon aus, dass pro Jahr etwa 25 Neuproduktionen und Koproduktionen entstehen können.

Kasten: Die 25 Projekte, die wir jährlich verwirklichen wollen, entstehen in enger Zusammenarbeit mit den einzelnen ARD-Medienhäusern.

ARD-Kultur ist in Weimar angesiedelt, fällt aber in den Verantwortungsbereich der Programmdirektion Halle, der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) ist federführend. Wird damit auch mehr Gewicht auf kulturelle Angebote und Produktionen aus Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen gelegt?

Kasten: Wir sind eine Gemeinschaftseinrichtung. Wir gehören allen und wir sind alle. Wir verbinden. Wichtig zu erwähnen ist, dass ARD-Kultur keine aktuelle Berichterstattung übernimmt. Es obliegt weiterhin den Landesrundfunkanstalten, etwa von Theaterpremieren oder Preisverleihungen zu berichten. Insofern sind wir ein nationales Angebot. Wir sind in einem sehr engen Austausch mit allen Häusern.

Brandt: Damit dieser möglichst reibungslos funktioniert, liegt ARD-Kultur im Verantwortungsbereich der Programmdirektion Halle, wo auch die ARD-Kulturkoordination beheimatet ist und wodurch alles eng verzahnt werden kann. Der MDR wird sich gemeinsam mit anderen Landesrundfunkanstalten bemühen, gute Produktionen und Projekte mit ARD-Kultur umzusetzen. Dafür sehe ich schon einige gute Ansätze. Insofern sind auch aus Weimar mitteldeutsche Produktionen mit ARD-Kultur zu erwarten. Produktionen, die der MDR bei ARD-Kultur einbringen wird, sind etwa das Projekt „Wie Weimar wohnt“ und die Musikreihe „Friends of ...“.

Wie bereits angesprochen, soll ARD-Kultur nicht nur die kulturelle Infrastruktur innerhalb der ARD bündeln, sondern möchte auch als Impulsgeber auftreten und Kreative und Kulturinstitute verbinden. Wie soll das aussehen?

Kasten: Ein Beispiel ist der bereits erwähnte ARD-Kultur Creators-Wettbewerb. Damit haben wir freie Kreative aufgerufen, sich mit Ideen zum Thema Verbundenheit zu bewerben. Dabei sind wir intensiv mit Kreativschaffenden in Kontakt getreten und realisieren jetzt die Gewinnerprojekte. Im Rahmen unserer Produktionen kommen wir aber auch mit Kulturinstitutionen zusammen. Wir sind in Gesprächen für eine stärkere Vernetzung mit Literaturhäusern und gehen auch mit anderen Institutionen wie der Klassik Stiftung Weimar Kooperationen ein.

Können Sie da etwas konkreter werden?

Brandt: ARD-Kultur hat neben Aufgaben der Produktion und Koproduktion, der Vernetzung und Kommunikation auch die Aufgabe, Impulse für Kultur im Dialog miteinander zu setzen. ARD-Kultur könnte einen Anker bilden für Kunst und Kultur, die sich immer wieder neu in gesellschaftliche Debatten einbringen müssen. Das wollen wir versuchen, indem wir für Kulturthemen eine Art Kulturwerkstatt einführen. Beim MDR existieren solche Werkstätten bereits erfolgreich für den dokumentarischen Bereich. Wir wollen daran arbeiten, den Gedanken, der hinter diesen Dokumentarfilmwerkstätten steht, auf das Kulturgebiet zu übertragen. Wir hoffen, im Frühjahr 2023 Konkreteres vorzeigen zu können. Generell ist alles ein fortlaufender Prozess.

Kasten: In diesem Zusammenhang stehen wir auch in Gesprächen mit der Bauhaus-Universität Weimar, dem Reeperbahn-Festival, der Kulturstiftung des Bundes und einzelnen Kunsthochschulen. Die haben Lust und freuen sich auf ein solches Projekt.

Die Debatte um die Vetternwirtschaft beim RBB hat sich zu einer Debatte über die Strukturen bei der ARD ausgeweitet und hält an. Ist das auch ein Thema für ARD-Kultur?

Brandt: Da der MDR die Obhutspflicht für ARD-Kultur innehat, gelten alle Regelungen, die für den MDR auch in Sachen Compliance oder Transparenz gelten, genauso für ARD-Kultur. Dem MDR wurde beschieden, dass das Haus eines der am besten entwickelten Compliance-Systeme innerhalb des ARD-Verbundes hat. Regeln wie etwa das Vier-Augen-Prinzip bei Produktionen und Bewilligungen gelten bis hin zum Compliance-Gedanken auch für ARD-Kultur.

Wie soll ARD-Kultur in fünf Jahren aussehen?

Brandt: In fünf Jahren wünsche ich mir, dass wir den Drei-Stufen-Test schon lange erfolgreich abgeschlossen und das Profil so geschärft haben, dass die Kulturszene und ARD-Kultur ein eingespieltes Netzwerk sind, ein starkes Team. Dass es das Portal ist, zu dem man geht, wenn man Kulturinhalte der Hoch- wie der Popkultur sucht. ARD-Kultur ist in aller Munde als Ermöglicher von kulturellen Aktivitäten. Alle fragen, warum es das nicht schon vor 10 oder 20 Jahren gab, und wir erhalten mehr finanzielle Mittel aus dem vorhandenen ARD-Budget, um noch mehr Kultur im öffentlich-rechtlichen Sektor zu realisieren und zu stärken.

Kasten: ARD-Kultur soll der Ansprechpartner für die Kulturszene werden. Und wir zeigen als „Kultur-Booster“, was in der ARD sowohl regional als auch bundesweit möglich ist. Wir sind ein Schaufenster dafür. Mir ist auch wichtig, dass wir als Innovations-Hub wirklich neue Formate nutzen und Lücken beim Angebot schließen. Dass wir so zur Heimat für Kulturinteressierte werden.

Aus epd medien 42/43 vom 21. Oktober 2022