Die ARD hat am 29. April ein Gutachten zur Tätigkeit des ehemaligen ARD-Programmdirektors Hans Abich während des Nationalsozialismus veröffentlicht. Darin stellt der Salzburger Journalismusforscher Thomas Birkner fest, dass Abich (1918-2003) nach dem Krieg falsche Angaben zu seiner Biografie während des Nationalsozialismus gemacht hat (epd 18/23). Entgegen seiner eigenen Erzählung sei Abich „für das Propagandaministerium und für Zeitschriften der Studentenschaft, die die damalige Ideologie transportierten“, tätig gewesen, schreibt Birkner. Birkner nimmt in dem Gutachten auch Bezug auf ein Gespräch, das der Medienforscher Lutz Hachmeister, damals Direktor des Adolf-Grimme-Instituts, am 30. Oktober 1990 in Marl mit Abich führte. Abich war einer der einflussreichsten deutschen Filmproduzenten nach 1945, von 1968 bis 1973 war er Intendant von Radio Bremen und von 1973 bis 1978 Programmdirektor der ARD. In der NS-Zeit war er unter anderem „studentischer Fachgruppenleiter“ an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität. Diese Fakultät war von ihrem Gründungsdekan, dem „SS-Intellektuellen“ Franz Alfred Six, unter maßgeblichem Einfluss des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) etabliert worden. Hachmeister führte das Interview in Vorbereitung seines Dortmunder Habilitationsprojekts „Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six“ (publiziert bei C.H. Beck 1998). In dem Buch schreibt Hachmeister: „Ein Gespräch mit Hans Abich, der bei Six in Berlin studierte, hat mich dazu bewogen, nach der ersten Recherchephase das Buch auch tatsächlich zu schreiben.“ Im Folgenden dokumentieren wir das Interview, das uns Lutz Hachmeister mit leichten stilistischen Korrekturen zukommen ließ. Der Gesprächsduktus des von Abich seinerzeit nicht durchgesehenen Rechercheinterviews ist beibehalten worden.
Lutz Hachmeister: Herr Abich, Sie haben an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Berlin studiert. Wie kamen Sie da hin?
Hans Abich: Im Hauptfach habe ich Jura studiert. Das Nebenstudium hatte ich schon begonnen in der Vorgänger-Institution, die hieß „Hochschule für Politik“. In der Weimarer Zeit gegründet und später durch Theodor Heuss irgendwie bekannt geworden und nun natürlich im Dritten Reich sicher als Instrument ausgenutzt. Ich entsinne mich, sie unterstand, das spielte dann eine so große Rolle, wer wem unterstand - und diese Hochschule unterstand Goebbels. Und eine der Bestrebungen der dort Studierenden, jedenfalls der hauptamtlich Studierenden war, den wissenschaftlichen Ruf des dortigen Abschlusses zu verbessern, denn das war halt doch eine mehr politisch als wissenschaftlich begründete Sache. Übrigens für mich mit dem nüchternen Jura-Studium war der Lehrplan hochinteressant, er war natürlich facettenreich. Und ein Teil der Lehrkräfte ist für mich bis heute eigentlich bestimmend geblieben - Leute wie Albrecht Haushofer, Ernst Wilhelm Eschmann, Karl Christian von Loesch, um nur ein paar zu nennen. Aber auch mehr vom Eindruck her. Und die Frage, wann das erreicht sein würde, dass man in die Universität integriert sein würde und die Leute mit dem bisherigen Studium anerkannt werden, das war eine Sache, die die oberen Semester schon sehr interessiert hat. Also das war sozusagen mein Vorlauf dort.
Ich wurde jedenfalls wohl 1939 plötzlich von dem bisherigen Studentenvertreter befragt: „Kannst du mir das abnehmen? Ich muss einrücken und die Studenten brauchen jemanden zum Wählen. Du bist vermutlich, man muss es sagen, der einzige Mann, der nicht einrücken wird wegen deiner Kinderlähmung und das andere werden Studentinnen sein - kannst du mir das abnehmen?“ Das war also ein Vorgespräch. In dem fiel schon der Name Six zum ersten Mal. Ich hatte davon wenig Ahnung, sagte: „Was muss ich denn da machen?“ Und dann fiel schon der Name: „Pass auf, es gibt eine große Chance, ein starker Mann wird an die Spitze dieser neuen Institution kommen, die wir doch alle wollen“ - und dann machte er so eine Art Gedankenstrich und sagte, „den müssen wir schlucken.“ Den früheren Präsidenten dieser Hochschule für Politik hatten die Studenten schon einmal mehr oder weniger verdrängt - also Six „müssen wir schlucken, der gibt uns Stärke, sonst werden wir in der Uni auch als nicht voll anerkannt. Aber du wirst sehen, du gehörst dann zu denen, wenn du der Studentenvertreter bist, der Fachgruppenleiter, die in einer Art Senat mitreden können. Und achte auf eins: Die Gefahr ist natürlich da, dass unser bisheriger Lehrkörper um die kritischen Geister möglicherweise vermindert wird durch diesen starken Mann.“ Und dann sagte er noch eins: „Er heißt Six und ist der jüngste Professor im Deutschen Reich, kommt aus Königsberg, Ostpreußen.“ Mehr wusste ich nicht. Und: Er ist in der SS und im SD. Also, er wurde mir nicht genau beschrieben, aber so viel wusste ich dann.
Hachmeister: Sie wussten aber nicht, dass das ganze Projekt damals sehr stark von Heydrich und der SS forciert worden ist, dass ein Motiv der SS war, für die Ausbildung von wissenschaftlichem Nachwuchs in ihrem Sinne zu sorgen, politische Schulung zu betreiben und mit „Auslandswissenschaften“, Gegnerforschung, Vorbereitung für zu überfallende Länder und so weiter. Das war Ihnen damals überhaupt nicht klar?
Abich: Ach was, nee, nee. Und man würde auch sagen, Six hat nicht sofort sehr viele Leute eingeschleppt, offiziell, am Lehrstuhl und so. Was ich im Kriege - da kann ich das Jahr gar nicht mehr sagen, weil ich da sicher nicht mehr in der Studentenvertretung war - dann hörte: Six hat einen Auftrag, der ... der nimmt sozusagen England ... also, der hat ein Messtischblatt von England, und wenn wir „rübergehen“ (Die sogenannte „Operation Seelöwe“ 1941, die dann nicht realisiert wurde, LH), dann hat er das Vorauskommando. Ja, er muss ja wissen, was da alles ist, vor allem muss man das ja wissenschaftlich vorbereiten, das klang so wie: Die Soldaten brauchen ja eine ganz dolle Planung. Dies wurde mir später als einer seiner Aufträge bekannt. Und Sie müssen ja bedenken, er wurde zu einem späteren Zeitpunkt - sein Rang in der SS war wohl bedeutend, aber offiziell nicht sehr hoch. Und dann wurde er, wenn ich nicht sehr irre (1943, LH), Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, das war eine feine Sache, da war ich schon weg, aber das weiß ich noch.
Hachmeister: Wie trat Six auf, wie gab er sich?
Abich: Er war überhaupt keine Figur, die das Rampenlicht suchte. Er war ein schüchterner Mann, noch ziemlich jung, hatte eine besorgte Stirn, eigentlich ein kontaktschwacher Mann. Er war mir ja nur als starker Mann adressiert worden, hat aber natürlich alles sehr leise getan. Für mich war eins der Kriterien: Rührt er an diese Professoren, die für uns eine ganz andere Richtung bedeuteten? Nein, das tat er nicht. Einige, die offenbar neu mit ihm kamen, waren wissenschaftlich nicht schlecht, muss man sagen, so ein, zwei, da entsinne ich mich wohl. Nun war aber die Bandbreite ja ganz falsch. Also, ich will es mal an einem Punkt festmachen. Der Friedrich Berber, der einen Hauptstuhl in der Juristerei hatte, war bei uns und unter dem war ein relativ junger Mann als Professor, der Wilhelm Grewe. Berber war eine höchst schillernde und - eigentlich ein begabter Mann - sehr gefürchtete Person. Und Grewe, von dem man damals nicht wusste, dass er jüdisch oder halbjüdisch verheiratet war, man kannte nur seine Bescheidenheit, aber nicht sein Handicap, bei dem konnte man noch was lernen. Also, es waren ganz verschiedene Leute, wenn Sie bedenken, dass der Dohnany, der Reichsgerichtsrat, da auch lehrte, es waren Leute aus dem Widerstand da, es waren natürlich auch Nazis da, gar keine Frage. Da gab es einen Philosophen namens Klemmt, an dem hingen die Studenten sehr, und der wurde - sicher nicht ohne Six’ Dazutun - bald abgehalftert. Etwas anderes, das habe ich erst später erfahren, ist Six ja fast zum Garaus geworden: Er hatte mal einen Sonderauftrag in der Sowjetunion (LH: Vorkommando Moskau, ein halbes Jahr). Das war aber nur eine kurze Zeit.
Hachmeister: Also man hatte davon gehört, man wusste es aber nicht genau.
Abich: Ja.
Hachmeister: Aber er muss ja weg gewesen sein, mindestens ein halbes Jahr.
Abich: Ja, er ist weg gewesen. Aber er wurde gerettet durch den Kalender einer wirklich harmlosen, guten Studentin, die bei ihm in einem Seminar war und die sagen konnte: Da, wo ihr ihm (im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess, LH) den Hauptvorwurf macht, da war der Mann wieder in Berlin. Denn er kam immer wieder, er war nicht so sehr lange weg bei seinen SS-Aufgaben, aber das kann ich alles nicht beurteilen, er war für eine Weile zurückgezogen, er war also überhaupt nicht drakonisch oder grob, eher schüchtern bis bedenklich - es gab damals natürlich Lehrer, die den Mund sehr positivistisch für den Nationalsozialismus auftaten. Ihn hätte man aber immer für einen kritischen Geist gehalten, der eine Art Verschlossenheit in sich trug.
Hachmeister: Wie erklären Sie sich dann, wenn er so schüchtern war und wenig kontaktfreudig, diese wirklich grandiose Karriere, im NS-Sinne? Er hat ja mit 24 promoviert, mit 28 habilitiert, wurde dann eben in Königsberg Professor für Zeitungswissenschaft, hat in Heidelberg bei Bergstraesser promoviert über die politische Propaganda der NSDAP, hat auch immer so oszilliert zwischen politischer Wissenschaft und Propagandakunde und er hatte eine ganz schnelle Karriere bis zum SS-Brigadeführer.
Abich: Ja, so war es, das war dieser Mann.
Hachmeister: Wie kommt dann eine solche Karriere zustande, Ihrer Meinung nach?
Abich: Das kann ich nur im Nachhinein sagen. Die Parteisachen konnte ich so nicht verfolgen, aber ich glaube, sein Fleiß war ungeheuerlich, also, schonungsloser Fleiß bei sich selbst. Und ich hatte den Eindruck, so etwas hatte ich noch nicht gesehen oder erlebt, wie ein Professor Arbeit zu organisieren wusste. Diesen Apparat um sich, junge Leute, Assistenten, da eine Sekretärin, also in der Zentrale wurde - und das war früher so ein kleines Stübchen - war plötzlich ... also Aufträge gab’s. Also Teilforschungsgebiete gab er immer in Hände, in freie Hände, Studenten, Assistenten. Und bei ihm, zum Beispiel, es war damals für mich schon sehr beeindruckend, habe aber das volle Ausmaß erst hinterher erkannt, bei ihm leitete ein Seminar Harro Schulze-Boysen über die Sowjetunion, der als Ober-Nazi galt. Das war natürlich eine Tarnungskiste von Schulze-Boysen und Schulze-Boysen trug die Luftwaffen-Offiziersuniform, war studienbeurlaubt vom Reichsluftfahrtministerium, woher er dann gefunkt hat, und ich glaube, daran merkte man wieder, das war das Gegenteil einer Schranze von Six. Das wurde Six wieder angerechnet: Ein so doller Mann wie der Schulze-Boysen (Schulze-Boysen wurde 1942 als Mitglied des Widerstands gegen den Nationalsozialismus hingerichtet - die Red.) ist sein Mitarbeiter.
Hachmeister: Was hatten Sie denn als Fachgruppenleiter speziell zu tun? Also, Sie haben dann an diesen Sitzungen teilgenommen, auch mit Six?
Abich: Das weiß ich heute nicht mehr, ob ich ein Stimmrecht hatte, ich glaube nicht. Aber eine beratende Stimme oder so. Ich musste auch für manche Dinge gefragt werden bei Studentensachen. Ansonsten war das eine Art Betreuungsstelle für Frontstudenten, also ich war eigentlich voll damit beschäftigt, wenn die zurückkamen und wenn Briefverkehr kam und so, und ansonsten musste ich ja ganz viele Studentinnen leiten. Und ich weiß noch, meine Frau hat mich ja da kennengelernt und die hat mir immer sehr maliziös vorgehalten, dass ich einen sehr sonderbaren Text an die Wand geschlagen hätte über, also eine Art moralischen Appell zum Nichtrauchen. Den fand sie so ein bisschen sonderbar und jedenfalls, es wurde dann viel geraucht, weil ich ums Nichtrauchen gebeten hatte.
Ansonsten war man ein Partikel dieser Universität. Bis dahin waren wir eben selbstständig und nun war das nicht mehr so doll mit der Selbstständigkeit. Aber mein Vorgänger sagte zu mir: „Übrigens, da ist noch eine Kleinigkeit. Du musst da zwei Verwarnungen oder Verweise“ - das weiß ich nicht mehr - „der Reichsstudentenführung aussprechen.“ Ich sage: „Was ist denn das? Ja, da bin ich nicht mehr dazu gekommen, sind jetzt Ferien und die Jungs kommen erst jetzt zurück.“ Was war denn da? Ja, die haben im Ernteeinsatz vielleicht Dummheiten getrieben und das hat sich politisch ausgewirkt, na gut. Und ich hab das dann damals, etwas peinlich berührt, den zwei Studenten überreicht, habe dann gleich versucht, es harmlos zu machen, aber da war doch wohl ein Text drin, der damals vielleicht immerhin beeindruckt hat.
Nach 1945 in Göttingen kam dann ein erstes Albrecht-Haushofer-Schüler-Treffen zustande. Es wurde noch im Deutschen Theater gefeiert. Und ich konnte mich nicht als Haushofer-Schüler ausgeben, aber ich habe gesagt: „Ich gebe euch da auch gern Filmbüros als Raum.“ Und da trat ein Student auf mich zu und sagte gespielt forsch: „Herr Abich, entsinnen Sie sich noch, dass Sie mir einmal einen Verweis erteilt haben?“ Ich fand das Wort „erteilt“ schon ... „Ach Sie sind das!“ Ja, und da guckte er mich so an, als ob, jetzt haben wir mal was miteinander. Und dann sagte er: „Es ist gut ausgegangen, es hat mir das Leben gerettet.“ Ich sage: „Wie das?“ „Ja, als die Russen mich dranhatten, hatte ich den Verweis bei mir.“ Und er konnte sich sozusagen als gemaßregelt darstellen. Also, es war vielleicht das einzige, wo ich ...
Dann hatten wir noch einmal eine Schwierigkeit, die wurde mir aber als Naivität angerechnet. Wir gründeten - in dieser engen Situation des Krieges versuchte man immer irgendwie, aus unserer Sicht noch irgendwie eine Phantasie zu schlagen. Wir gründeten also - wir hatten auch ziemlich viele ausländische Studenten, von denen sich später herausstellte, dass sie natürlich teilweise wieder Spione der ausländischen Mächte waren -, wir gründeten eine deutsch-ausländische Studiengemeinschaft. Und da machten wir auch Vortragsveranstaltungen. Und das sollte so partnerschaftlich mit den Ausländern in Berlin sein. Und da weiß ich noch, wir luden den amerikanischen Botschafter zu einem Vortrag ein, als schon alles sehr schwierig stand im Kriege. Und da wurde uns das als sehr geschmacklos aus der Richtung Six ausgelegt, der sicher nicht selbst da war. Also, da war heute irgendwie eine Veranstaltung angesetzt und nach zwei Tagen waren wir im Krieg mit Amerika. Also, wir waren wirklich ... Gut, und der Schönemann sprang ein, der Vertreter des Amerika-Lehrstuhls; es war natürlich nicht dasselbe, da waren wir enttäuscht.
Hachmeister: Und Six? Hielt er auch Vorlesungen oder war er mehr der Organisator?
Abich: Six hielt auch Vorlesungen, war aber mehr Seminarchef. Ach nein, er machte gar kein Seminar, aber er musste natürlich auch Vorlesungen halten. Uns wurde immer gesagt, die Assistenten schreiben dessen Vorlesungen, also das gehörte zur Arbeitsorganisation. Er war ganz wenig da, aber machte seine Sache, gar keine Frage.
Hachmeister: Was waren denn das für Studenten, wenn man jetzt - Sie haben das im Nebenfach gemacht - denkt „Auslandswissenschaft“, das gab es doch vorher gar nicht?
Abich: Die durften sich, glaube ich, dipl. sc. pol. nennen. Die Auslandswissenschaften, das war für uns die alte Hochschule für Politik sozusagen mit akademischer Graduierung. Ich treffe mich mit Studenten noch sehr häufig, weil die im Unterschied zu meinen Mitschülern noch leben. Und schon an der HfP waren - das habe ich erst später erfahren - verdiente Hitlerjugend-Führer sozusagen zu einem Kursus entsandt, und wenn die auf diese Art dort mal so einen Ferienkurs gemacht hatten, dann hatten sie da geschnuppert, und auch solche, also Hoffnungsträger der Partei, wurden zur Auszeichnung da mal hingeschickt und die ... wurden dann auch eingeschrieben. Ansonsten waren das Weltenbummler, alle Sorten natürlich, Nazis, Leute, die es wissenschaftlich interessant fanden.
Schulze-Boysen war nicht der einzige NS-Gegner an dieser Fakultät, es gab also auch widerständige Kameraden, die gottlob sich verborgen hielten. Einen von ihnen konnte ich aber erkennen und war trotzdem dann betroffen, dass er mit Schulze-Boysen untergegangen ist, aber Idealisten eigentlich alles. Es war ein Studium, das es sonst nicht gab. Ungeheuer breit gefächert, interessant, Neuseeland, Australien, das war dann aber schon stärker die Fakultät. Die Fakultät hatte ja ein neues System. Die Fakultät hatte Sachfächer und Landesfächer. Und dadurch hat man auch gesagt, das wird noch viel konkreter, in Wirklichkeit war das jetzt auch gut für Dolmetscherinnen. Bei Kriegsbeginn sagte man: „Das ist ja die Karriere für Mädchen.“ Wir waren nicht so auf Kurse in der Hochschule aus, sondern auf Horizonterweiterung und so etwas.
Hachmeister: Wie würden Sie Ihre eigene politische Einstellung von damals kennzeichnen?
Abich: Das kann ich Ihnen in ganz wenigen Sätzen schildern. Da muss man ja immer vorsichtig sein, dass keine rückwärtigen Einstellungen hineinspielen ... Rückwärtige Reflexionen. Erster Punkt: Ich habe später immer Jahrgangsfreunde gehört, die gesagt haben: „Wir mussten ja ins Jungvolk.“ - „Ja“, sage ich, „ja, der Unterschied: Ihr musstet.“ Mein Problem war das nicht. Mein Problem war, ob ich durfte. Ich hatte die Kinderlähmung mit elf und wusste: Die lassen mich nicht mitmachen. Die ließen mich aber mitmachen. Meine Mutter hat mich dann manchmal gefragt, weil ich immer begeistert davon berichtete, Geländespiele und Nachtübungen und so weiter, also, dass ich mitmachen konnte. Meine Spezialität wurden Gepäckmärsche, leider verboten für mich gewesen, aber gut. Meine Mutter hat mich manchmal gefragt: „Junge, fühlst du dich da nicht unfrei?“ Ich habe mich da sehr wohl gefühlt, habe auch einen wunderbaren Jungmannführer kennengelernt, der, als mein Vater ins KZ kam, den mir wieder rausgeholt hat. Also habe ich in der Jugendstufe nur gute Erlebnisse gehabt.
Dann kam ich nach Berlin und merkte, das ist ein ganz anderer Wind. Ich bin ja im ländlichen Raum aufgewachsen. In Berlin, da war ich nun eigentlich politisch ziemlich unvorgebildet. Aber in Berlin zunächst einmal aufgesaugt von dieser ganzen Situation. Da kann man auch wieder sagen, man spürte in Berlin sehr vieles, war ja nun doch die Zentrale von Hitler, und trotzdem war es eine sehr private Stadt, also, es waren nicht alle dort Nazis und man war sehr offen.
Aber, wenn ich rückwärtig denke, ein wichtiger Punkt wurde für mich das Jahr 1938 in Berlin und vorher auf dem Lande das Jahr 1934, als ich gerade in der Klinik lag, um meinen Rücken operieren zu lassen in Stettin, weiß ich noch, da kam der Röhm-Putsch. Ich lag da in schlechter Situation, aber ich kriegte ja die Informationen. Und ich weiß noch wie heute - und da sage ich mir hinterher immer: „Mein lieber Abich, du bist aber spät wach geworden“! - weiß ich noch das Wort von Hitler: „Ich übernehme die Verantwortung“, hat er so ungefähr gesagt. Nämlich für das Unrecht, also, er hat den Unrechtsstaat in diesem Moment gebilligt. Und ich - wissen Sie, wie das bei mir gewirkt hat? Der Hitler macht die Leute, die für ihn gehandelt haben, stellt sie also sozusagen frei und übernimmt die Verantwortung gleich Schuld auf sich. Aber es war eigentlich das Zynische, er hat gesagt: Ich sage, was das Recht ist. Also durften ja nicht nur Röhm, sondern auch andere umgebracht werden. Das habe ich damals in der Tat überhaupt noch nicht so als einen Punkt erlebt, wo man hätte hellwach werden müssen.
1938, das hing schon mit dem Studium zusammen, weiß ich, hielt in der Hochschule damals - da war ich noch nicht Studentenvertreter, aber ich war Student - der Leiter der Reichskulturkammer, ich glaube Hinkel hieß der (Hans Hinkel, LH), am 8. November 1938 einen Vortrag. Und der war also für unsere, die meisten meiner Kameraden, die waren kritisch, aber idealistisch, ein bemerkenswert intellektueller Vortrag, fand ich. Und am anderen Tage waren die Aktionen gegen die Juden, gegen die Synagogen. Also, das war in Berlin schon merkbar. Und da folgerte ich, der Mann hat den Vortrag, die Rede, gehalten in Kenntnis dieser Aktionen. Und das hat mich sehr verletzt. Der hat uns ja nicht an dem Abend kritisch gemacht, sondern der hat uns eigentlich für dumm verkaufen wollen. Es waren dauernd schon Zweifel, Kritik, also und das war für mich eigentlich der auslösende Augenblick, von nun an war jeder Argwohn angebracht.
Das ist auch so geblieben und das fiel einem in Berlin auch nicht schwer. Selbst in dieser sehr beeindruckten Zeit, wo wieder sozusagen Gemeinschaft wuchs, das waren die Luftangriffe. Das war natürlich zwar Gemeinschaft, aber eigentlich ziemlich antinazistisch. Es gab auch viel Fatalismus, nicht wahr, also der Krieg ist da. Schulze-Boysen, als ich seine Tat dann erfuhr - ganz habe ich es erst später unter dem Stichwort „Rote Kapelle“ erfahren -, Schulze-Boysen hatte mich auch einmal besucht. Ich nehme an - ich entsinne mich noch - er fragte: „Habt ihr auch eine Kartei?“ Also eine Adresskartei, die wir für die Rundschreiben hatten. Ich zeigte ihm die und hinterher merkte ich erst - habe ich damals nicht gemerkt -, er machte so ein Gesicht: ‘Ach, mehr steht da nicht drin.’ Es war eine reine Adressenkartei. Also, ich will sagen, der hat auch abgesichert, ob etwas selbst in dieser Studentenschaft irgendeine Falle für ihn ist.
Und als das alles passiert war, dann habe ich - und das weiß ich heute noch -, ich habe, soweit die Tat damals bekannt wurde, die mich auch wegen dieses Kameraden sehr berührt hat, der mit ihm umgebracht wurde, später habe ich doch noch gezweifelt, ob sozusagen die Verratshandlung gerechtfertigt ist und nicht den berühmten guten Soldaten an der Front und so weiter schadet, also die Abwägung, was ist entschiedener Widerstand und was eine gefährliche Aktion ...
Natürlich will ich mal sagen, ich hatte eine Freundin, die bei einer Jüdin wohnte, und dadurch kannte ich einen solchen einzelnen Fall. Meine spätere Frau hat auch eine Jüdin sozusagen noch rausgerettet - aber ich entsinne mich, dass ich zu dieser Freundin, weil man ja natürlich politisierte, immer noch die These vertrat ... Sie war keine Studentin und wollte wissen, was ein Student denkt über alles. Und ich entsinne mich, dass ich sagte: Weißt du, ich entsinne mich, ich glaube in der Tat, dass irgendwann in der wirtschaftlichen Situation vor Hitler der Einfluss des jüdischen Kapitals in den Großstädten groß gewesen ist. Ich auf dem Lande kannte nur einen, das war der Viehhändler, dessen wir in allen Ehren gedachten. Aber alles, was die Nazis gemacht haben, also ich könnte mir denken, sie hätten den wirtschaftlichen Einfluss beschneiden dürfen, aber alles, was gegen die Rasse, gegen die Personen, gegen die Existenz ging, das ist das Urübel dieses Nationalsozialismus. Also dagegen, die alten Jungvolkseligkeiten ...
Hachmeister: Wie lange haben Sie an dieser Fakultät studiert?
Abich: Ich habe da nicht Examen gemacht. Ich habe nur studiert. Also, da hatte ich eine seltsame Auffassung, war auch beschäftigt durch diese Betreuung der Studenten, es hat mich sehr aufgehalten, und ich wollte nicht vorankommen, während die anderen an der Front sind. (...) Ich habe, glaube ich, erst 1943 Examen gemacht. Ich habe diese Studenten der Fakultät gut gekannt, längst hatte ich natürlich einen Nachfolger, weil ich da ja auch nicht weitergemacht habe, aber ich bin dann im juristischen Vorbereitungsdienst gewesen und habe die jüngste Entwicklung der Fakultät nicht mehr genau beobachtet, glaube aber ungefähr zu wissen. Entscheidend war noch das Verschwinden von Albrecht Haushofer, soweit man da rangekommen ist, und ich hatte immer sehr aufmerksam den Umgang von Six mit Haushofer beobachtet. Er hätte mir ein Leid getan, wenn er den Haushofer schlecht behandelt hätte. Oder wenn Haushofer sich vielleicht bei mir beklagt hätte. Bloß, dann ging Haushofer - ich glaube, erst nach dem 20. Juli - in die Berge und wurde ja doch hopsgenommen. Da habe ich nach 1945 mal bei einer Rundfunksendung mitgemacht, weil ich diese Zeit gut kannte. Ich habe dann Six 1945 wiedergetroffen.
Ich war Referendar in Salzburg, was eigentlich eine Idylle war. Aber als ich dort ankam, das muss also März 44 gewesen sein, vorher war ich in Berlin, war da der erste Luftangriff. Und nun kam ich ja wirklich gestählt aus Berlin und nun ging's da auch los. War eine sehr eigenartige Erfahrung ... Und 1945, wie nennt man das, wenn eine Stadt ... die haben ja nicht kapituliert, die Amerikaner zogen ein. Diese im Berliner Zusammenhang genannte Freundin war inzwischen Angestellte des Auswärtigen Amtes. Und in einem Hotel trafen wir uns, weil sie wusste, ich bin da, und sie sagte, es ist meine letzte Dienstreise wahrscheinlich, und die gehörte einer Abteilung an, die ich jetzt nicht mehr rubrizieren kann, vielleicht bei Schmidt oder so, also einer klassischen. Und dann sagte sie zu mir: „Du wirst vielleicht deinen alten Dekan hier treffen, denn der ist mit uns, und ich sag dir nur, wir mögen den gar nicht.“ Und durch dies, sozusagen vorgewarnt, lief ich wirklich auch dem Six über den Weg. Er hatte bei sich seinen früheren Oberassistenten, der ... Dr. Mahnke, der Vorname fällt mir nicht ein.
Hachmeister: Horst Mahnke, der später beim „Spiegel“ Ressortleiter wurde und dann für Springer gearbeitet hat.
Abich: Den muss ich erst mal erwähnen, Horst Mahnke, also gut. Über Mahnke müssen wir noch einen Moment reden. Ich traf die beiden, sie waren natürlich bedrückt und verdruckst. Ich beherzigte sozusagen meine Freundin und brachte die nicht irgendwie zusammen, sondern ich merkte, das Auswärtige Amt löst sich in verschiedene Fraktionen auf. Und dann sagte mir Mahnke oder der Six nach einer Weile: „Können Sie uns vielleicht eine kleine“ - na, „Flucht“ haben sie nicht gesagt - „Fluchthilfe“ ... Na, und da sagten sie: „Wir haben einen Radioapparat, den können wir nicht mitnehmen. Aber wir bräuchten eine Art Tornister oder Rucksack oder so etwas.“ Ja, das war mir nicht sehr angenehm, weil ich, da musste ich nun den unseren Hausmeister in meiner Untermietwohnung fragen und meine Vermieter waren wirklich ehrlich Anti-Nazis, also, das fand ich nicht so sehr gut. Aber es schien mir natürlich nötig, den Versuch zu machen, und das gelang dann auch. Ich brachte ihnen diesen Tornister, worin sie was verstauen wollten, und fragte: „Was wollen Sie jetzt machen?“ Six war still. Mahnke sagte so etwas wie: „Wir gehen nordwärts.“ Und dann hat er noch gesagt „antizyklisch“, so etwas in die Richtung, oder ich weiß nicht mehr, irgendwie so. Und dann gehe ich, vielleicht ... Viel Gespräch war da nicht, man merkte, die Leute ... werden hopsgenommen.
Und ich bin schon in der Tür, da macht der Six den Mund auf, es war vielleicht der Satz, der ihn allein an mir interessiert hat ... Es hat mich ziemlich bewegt, deshalb kann ich das wörtlich wiedergeben. Er fragte: „Sagen Sie, Herr Abich, was glauben Sie, wann wird unsereiner wieder publizieren können?“ Ich war erst einmal nur erstaunt und wusste nichts zu sagen, weil ich dachte: „Mein Gott, woran denkt der denn? Der will doch sein Leben retten.“ Six fragte: „Fünf Jahre?“ Ich wollte jetzt keine Kalkulationen machen und da kam der Mahnke, der lockerer war, zu Hilfe und sagte: „Wenn überhaupt, 20 Jahre.“ Ja, ich ging mit einiger Verlegenheit.
Hachmeister: Six landete dann ja nach 1945 unter anderem als Dozent an der Führungsakademie der Wirtschaft in Bad Harzburg, die ja der NS-Staatsrechtler Reinhard Höhn gegründet und geleitet hat.
Abich: Höhn war einer meiner schlimmsten Lehrer in der juristischen Fakultät. Ich habe bei Carl Schmitt gehört, jedenfalls, das war meine letzte Berührung mit Six, in Salzburg.
Ich schätze, dass Six mir noch gesagt hat, also, ob wir nordwärts kommen, ich hatte aber die einzige Tendenz, vielleicht meine Eltern wieder zu suchen oder so. Sie müssen mir nichts versprechen, sagte Six, aber wenn Sie mir eine große Gefälligkeit tun wollen, es gibt ein Schmuckstück, ein Erinnerungsstück. Meine Frau, die lebt in Hannover, die werden Sie finden ... Ich glaubte, ich bekam etwas mit. Nur, ich kann’s durcheinanderbringen, denn in Göttingen, als ich da so ein bisschen berühmt war, kam eines Tages ein junges Mädchen und sagte, sie erlaube sich, mich anzusprechen, sie sei die jüngste oder jüngere Schwester von Six (Marianne Six; LH). Ja, die könnte es gewesen sein, dass die mir das Schmuckstück, das könnte ich jetzt durcheinanderbringen. Jedenfalls kannten wir die Adresse und ich habe, glaube ich, meinem Freund das auch erzählt, dem der Six noch weniger lag als mir, und der war auch an der Uni in Berlin, war aber mehr Soldat, aber der kannte also den Laden und da wir via Adolf Grimme alsbald mit Hannover viel zu tun bekamen, haben wir das sicher auch mal bis in die Wohnung gebracht, haben Frau Six, glaube ich, nicht kennengelernt, sondern es wohl nur abgegeben. Ich habe das Gefühl, unsere Pflicht haben wir da getan, ich hatte ja auch nichts versprochen.
Zwei Sachen habe ich noch gehört. Dass Mahnke aufgeflogen sei in der Wohnung von Six in Hannover. Die einen sagten, das war wohl doch ein Treffpunkt alter Nazis, die anderen sagten, nee, nee, der Mahnke hat da nur übernachtet, … und irgendwie muss die Schwester von Six vertrauensselig gewesen sein, hieß es dann. Und dann kam die nächste Nachricht, die sei auf sonderbare Weise in einer Universitätsstadt (Heidelberg, LH) zu Tode gekommen, und sie hatte offenbar eine Liebesgeschichte, vielleicht mit einem GI oder was weiß ich. Und die sei wohl eine sehr interessante Person geworden für die Amerikaner, weil sie die wohl ausfragen wollten, was weiß ich. Sie ist ... umgekommen, Selbstmord oder ... sehr sonderbare Sache.
Hachmeister: Sie hat ihren Bruder unfreiwillig verraten an einen Lockspitzel, der für den CIC (Nachrichtendienst der Armee der Vereinigten Staaten - die Redaktion) arbeitete.
Abich: Unfreiwillig verraten aus Leichtsinnigkeit, oder? Ja, so war es offenbar. Ja, jetzt weiß ich nur noch, wurde mir dann gesagt, also durch das Zeugnis dieser Studentin (Ursel Alander, LH) ... ganz lange, hagere, ganz unpolitische Person, die hätte Six letztlich gerettet, weil man sonst in Nürnberg davon ausgegangen wäre, er hätte Exekutionen geleitet beim Sonderkommando Moskau ... Ich meine, der kann persönlich gar nicht da gewesen sein. Gut, dann hieß es, er ist dadurch am Leben gelassen worden, er hat 20 Jahre bekommen. Viel besser sei ja Mahnke dran, weil der sozusagen eine Vorwärtsverteidigung gemacht hatte, und dann nach langer Zeit hat man von Six wieder gehört von einem Mitdozenten, der mich mal getroffen hat, was ist mit dem und dem? Und dann sagte der: „Übrigens, der Six soll jetzt schon in der Bibliothek sein von einer Strafkiste.“ Ich glaube, im Westfälischen oder so. Und ganz später: „Nein, er ist schon raus und ist bei einem Verlag, einem konservativen Verlag“ (Leske-Verlag in Darmstadt, LH) - also, das weiß ich jetzt nicht mehr.
Hachmeister: Six hat dann auch als Werbechef für Porsche Diesel Motorenbau in Friedrichshafen gearbeitet, auch ein Buch über modernes Marketing geschrieben im Rahmen seiner Arbeiten für die Höhn'sche Akademie, außerdem soll er bei der „Organisation Gehlen“ tätig gewesen sein, aber das ist sehr unsicher ...
Abich: Aber er hat immer seinen Namen behalten, kein Deckname?
Hachmeister: Ja, er ist immer Professor Six geblieben, auch nach 1945.
Abich: Ich habe immer diesen Höhn, wenn der die Inserate aufgegeben hat für seine Akademie - das habe ich nicht angenommen, dass der Six da untergekommen ist. Wie hat das Höhn eigentlich geschafft? Ja, der hatte vermutlich keine formale Belastung. Ich habe dann auch den Mahnke wiedergetroffen, mit dem ich ja sonst gar nicht viel zu tun hatte, in Hamburg, wenn ich nicht irre. Der war bei so einem Verband (Verband Deutscher Zeitschriftenverleger, LH), ob Geschäftsführer oder Public Relations oder Jurist, ich weiß nicht.
Dann fällt mir noch ein - ein kleines Datum im Krieg, ein Ereignis, das wir mitgekriegt haben, da hatten wir gedacht, jetzt ändert sich Six. Es war seine Heirat. Der war wohl doch eigentlich ziemlich verschlossen. Ich glaubte immer, ich habe ihn wenigstens noch ziemlich gut kennengelernt durch diese Besprechungen als Studentenvertreter. Diese Heirat war die totale Überraschung. Und deswegen glaube ich auch, der hat ja gewusst, er hat eine Studentin geheiratet, das wusste ich, und da wird er mir wohl diesen Ring oder sowas mitgegeben haben. Also, da hieß es, Six hat geheiratet, der ist doch mit seiner Aufgabe verheiratet, was ist er jetzt für eine Figur. Und dann wird es wahrscheinlich im Studentinnenbund gewesen sein, er ist viel lockerer, so haben sie gesagt. Wenn er mit einem sprach, und ich weiß noch, diese besorgte Stirn machte er immer, würden wir heute sagen, das ist ein Mann, der seine Skrupel und Bedenklichkeiten nicht verbirgt. Ich könnte auch, wenn Sie mir sagen, drück doch mal deine Erfahrung aus, wie sortierten wir eigentlich die Hauptgruppen der Nazis, da würde ich dann vermutlich für den Six ein bisschen noch eine Extragruppe machen. Weil der passte nicht rein in diese Kategorien.
Ich glaube, die Professur war sein größtes Anliegen. Dass die Studenten von ihm etwa sagten, na, seine Wissenschaftlichkeit ist begrenzt, das wäre das Schlimmste gewesen, was er gehört hätte. Er wollte ein ganz exakter Wissenschaftler sein. Die Fakultät wird mir zu bequem, es muss stimmen und alles und so.
Hachmeister: Es gibt aber nichts in den Publikationen von Six, was in irgendeiner Form wissenschaftlich Bestand hätte.
Abich: Ich habe sein Zeug nicht gelesen, ich bin auch nie in seine Vorlesungen. Ich hab aber immer gedacht, als Studentenvertreter müsstest du eigentlich mal aus Höflichkeit die Schriften des Dekans lesen.
Aus epd medien 19/23 vom 12. Mai 2023