Reporter ohne Grenzen (RSF) sieht die Pressefreiheit in zahlreichen Ländern der Welt bedroht. Nur in 52 der 180 für die jährliche Rangliste der Pressefreiheit untersuchten Staaten ist die Situation gut oder zufriedenstellend, wie die Organisation am 3. Mai mitteilte. Bei den übrigen Ländern schätzt RSF die Lage als problematisch ein. Der Geschäftsführer der deutschen RSF-Sektion, Christian Mihr, sprach von einer „dramatischen Entwicklung“. Das Ranking kann unter http://u.epd.de/2ktr abgerufen werden.
Auf der neuen Rangliste, die zum internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai publiziert wurde, fiel Deutschland von Platz 16 auf Platz 21 ab. Hauptgrund ist die weiter wachsende Gewalt gegen Medienschaffende. Mit 103 physischen Angriffen im Jahr 2022 sei ein neuer Höchststand erreicht, hieß es. Die Mehrheit der Attacken habe einen verschwörungsideologischen, antisemitischen oder extrem rechten Hintergrund. Im Jahr 2021 hatte es demnach 80 Angriffe gegeben, 2020 waren es 65.
Ein bundesweites Problem sei zudem die Straflosigkeit: Viele der betroffenen Journalistinnen und Reporter äußerten Unzufriedenheit über die Arbeit von Polizei und Justiz, so RSF. Deshalb sei dringend ein „effektiver Schutz“ nötig. Punkte verloren habe Deutschland auch in der Kategorie „sozialer Kontext“. Medienschaffende erlebten zunehmende Queerfeindlichkeit, Sexismus und Rassismus - vor allem, wenn sie über diese Themen berichten.
Norwegen belegt zum siebten Mal in Folge den ersten Platz in der Rangliste. Erstmals seit langem folgt auf dem zweiten Platz mit Irland ein Land außerhalb Skandinaviens: Dort habe der Pluralismus auf dem Medienmarkt zuletzt zugenommen, hieß es. Ein neues Verleumdungsgesetz schütze Medienschaffende vor missbräuchlichen Klagen. Damit verdrängt Irland Dänemark vom zweiten auf den dritten Platz.
Die Situation in Bulgarien, lange Zeit das am schlechtesten platzierte EU-Land in der Liste, verbesserte sich erneut. Der Staat kletterte um 20 Ränge nach oben auf Platz 71, vor zwei Jahren hatte RSF noch Platz 112 für Bulgarien notiert. EU-Schlusslicht bleibt Griechenland auf Platz 107: Im vergangenen Jahr wurde dort laut RSF enthüllt, dass mindestens 13 Medienschaffende mit der Spyware Predator und auf konventionelle Weise vom Geheimdienst überwacht wurden. Zudem gab es Fälle missbräuchlicher Klagen, von Polizeigewalt sowie extremistischer Gewalt. Der Mord an Polizeireporter Giorgos Karaivaz im April 2021 sei noch immer nicht aufgeklärt.
In den USA, die um drei Ränge auf Platz 45 zurückfielen, werde der erklärte gute Wille der Biden-Regierung, Pressefreiheit nach der Trump-Ära wieder zur Priorität zu machen, durch eine weiterhin hohe Gewaltbereitschaft gegenüber Medienschaffenden konterkariert, erklärte RSF. Rund 30 physische Übergriffe und ein Dutzend Festnahmen wirkten sich negativ auf die Platzierung aus. In Las Vegas wurde im September 2022 der Polizeireporter Jeff German ermordet, im Februar 2023 der lokale Fernsehreporter Dylan Lyons bei der Berichterstattung von einem Tatort erschossen.
Russland und Türkei rutschen ab
Die Unterdrückung unabhängiger Berichterstattung in Russland infolge des Angriffskriegs gegen die Ukraine und Festnahmen von Medienschaffenden in der Türkei sorgten dafür, dass die Länder auf der Rangliste abrutschten: Russland um neun Ränge auf Platz 164, die Türkei um 16 Ränge auf Platz 165. Eine Verschlecherung war zudem bei fast allen Ländern Zentralasiens festzustellen, darunter Usbekistan, Kasachstan und Kirgistan.
Die Ukraine verbesserte sich hingegen um 27 Ränge auf Platz 79. Dies liegt laut RSF vor allem an der wirtschaftlichen Stabilisierung der meisten Medien. Zudem habe der Einfluss von Oligarchen auf den Journalismus zurückgedrängt werden können. In der Kategorie Sicherheit belegt die Ukraine allerdings weltweit den vorletzten Platz. Ursächlich dafür seien russische Kriegsverbrechen gegen Medienschaffende in der Ukraine.
Schlusslichter in Sachen Pressefreiheit sind Vietnam (Rang 178), China (Rang 179) und Nordkorea (Rang 180). In China säßen mit mindestens 100 derzeit so viele Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Arbeit im Gefängnis wie in keinem anderen Land, erklärte RSF. Mehr als zehn von ihnen könnten laut der Journalistenorganisation im Gefängnis sterben, wenn sie nicht umgehend freigelassen werden.
Die Arbeitsbedingungen für Medienschaffende sind laut RSF ähnlich wie im Vorjahr in rund 70 Prozent der Länder weltweit problematisch. Mit Tadschikistan, Indien und der Türkei seien drei Länder in die schlechteste Kategorie „sehr ernst“ abgerutscht. Das größte Problem sei nach wie vor die Sicherheitslage für Journalistinnen und Journalisten. Sie würden auf Demonstrationen angegriffen, kämen in bewaffneten Konflikten ums Leben, würden gezielt ermordet, willkürlich festgenommen oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Der deutsche RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske beklagte eine wachsende Aggressivität gegenüber Medienschaffenden: „Viele Regierungen und gesellschaftliche Gruppen versuchen, kritische Berichterstattung zu unterbinden.“ Erschreckend sei, dass die Zahl der Übergriffe in Deutschland auf ein Rekordhoch gestiegen sei. Demokratische Regierungen müssten Medien in ihren eigenen Ländern unterstützen, den Druck auf autoritäre Regime erhöhen und auch Exilmedien stärken. „Desinformation darf nicht die Oberhand behalten“, mahnte Rediske.
Aus epd medien vom 5. Mai 2023