Presseähnlichkeit: EU-Kommission prüft mehrere Beschwerden
Medienverbände aus Dänemark und Österreich kritisieren öffentliche Sender
Brüssel (epd).

Die EU-Kommission prüft derzeit Beschwerden von zwei Medienverbänden aus Österreich und Dänemark, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in ihren Ländern eine presseähnliche Online-Berichterstattung vorwerfen. Die Beschwerden seien eingegangen, teilte ein Kommissionssprecher dem epd mit. Er machte keine Angaben dazu, seit wann die Prüfungen laufen.

Die Beschwerde aus Österreich stammt vom Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ), die aus Dänemark von Danske Medier, dem zentralen Verband der kommerziellen Medien in dem Land. In Deutschland wirft der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) öffentlich-rechtlichen Sendern vor, ihre Online-Angebote presseähnlich zu gestalten. Deswegen strebt der BDZV ein Beihilfeverfahren bei der EU-Kommission an (vgl. weitere Meldung in dieser Ausgabe).

Danske Medier lehnte es ab, näher zu erläutern, was an der Online-Berichterstattung von DR genau kritisiert wird. DR ist die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt in Dänemark, vor 1996 hieß sie Danmarks Radio. Solange das Prüfverfahren bei der EU-Kommission anhängig sei, wolle man dazu nicht Stellung nehmen, erklärte Danske Medier auf Nachfrage.

Der Verband ist nach epd-Informationen der Auffassung, dass die Nachrichteninhalte im Internet-Angebot von DR in erster Linie aus Audios und Bewegtbildern bestehen müssen. Die DR-Webseiten müssten sich von denen der privaten Medien unterscheiden. Im Oktober 2022 forderte Danske Medier laut einem englischsprachigen Papier mit „Empfehlungen für Einschränkungen der textbasierten journalistischen Aktivitäten von DR“ unter anderem, dass die Sendeanstalt keine langen Online-Artikel veröffentlichen dürfe. Solche Beiträge dürften maximal 250 Wörter enthalten.

Welche Aufgaben DR zu erfüllen hat, wird in einem sogenannten Public-Service-Vertrag zwischen dem dänischen Kulturministerium und der Sendeanstalt festgelegt. Im aktuellen Vertrag, der noch bis 2025 läuft, gibt es für DR keine Beschränkungen zum Umfang der textlichen Berichterstattung im Internet. Im Public-Service-Vertrag für die vorherige Periode hieß es noch, dass „DR textbasierte Nachrichten bringen kann, aber von längeren, tiefergehenden Artikeln absehen soll“. Die Anstalt DR, die seit der Abschaffung der Rundfunkgebühr im Jahr 2018 aus Steuergeldern finanziert wird, ließ eine epd-Anfrage unbeantwortet. Das dänische Kulturministerium sah sich nicht in der Lage, Fragen bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe zu beantworten.

Der Verband Österreichischer Zeitungen habe am 5. Juli seine Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingereicht, erklärte der Verband auf Nachfrage. An diesem Tag verabschiedete der österreichische Nationalrat mit den Stimmen der Regierungsparteien ÖVP und Grüne das neue ORF-Gesetz. Der VÖZ hatte die Gesetzesnovelle deutlich kritisiert und angekündigt, dass er Brüssel einschalten werde (epd 28/23). Zentraler Bestandteil der Gesetzesnovelle ist, die sogenannte GIS-Gebühr (Programmentgelt) zur Finanzierung des ORF 2024 in eine Abgabe in Höhe von monatlich 15,30 Euro umzuwandeln, die dann jeder Haushalt bezahlen muss. In sechs Bundesländern kommt noch eine Landesabgabe hinzu. Online darf der ORF seine TV-Aktivitäten ausbauen.

Gemäß der Gesetzesnovelle muss ab 2024 die Webseite „orf.at“ 70 Prozent Bewegtbild und 30 Prozent Text enthalten. Die Anzahl der textbasierten Online-Beiträge wird auf maximal 350 Meldungen pro Woche begrenzt, also auf im Durchschnitt 50 pro Tag. Die Textbeiträge dürfen nicht vertiefend sein, sondern müssen sich auf nachrichtenmäßige Kurzberichterstattung beschränken. Die Aufmachung und Gestaltung der Berichterstattung auf „orf.at“ darf nicht vergleichbar sein mit dem Online-Angebot von Zeitungen.

VÖZ: Neuregelung keine Begrenzung

In den neuen Vorschriften für den ORF sieht der VÖZ allerdings keine Begrenzung: Für die Rundfunkanstalt werde „eine Online-Berichterstattung im Zeitungsformat sogar gesetzlich geregelt“, kritisierte der Verband. Dies könne „für das Zeitungswesen eine Existenzbedrohung“ sein. So dürfe der ORF künftig auch audiovisuelle Beiträge „mit bis zu 300 Textzeichen versehen“. Im Ergebnis könnten „kürzere Textbeiträge durch die Kombination mit kurzen Videos als audiovisuelle Beiträge gezählt werden“. Dadurch erhöhe sich „auch noch die Bemessungsgrundlage für die 30-Prozent-Quote für ‘reine Textbeiträge’“, erklärte der VÖZ. Die Beschwerde des Zeitungsverlegerverbands bei der EU-Kommission richtet sich gegen die Republik Österreich und damit die Regierung.

2009 hatte die damalige Regierung gegenüber der Brüsseler Kommission bestimmte Zusagen mit Blick auf den ORF gemacht, nicht zuletzt auch aufgrund einer Beschwerde des VÖZ. Laut dem Verband verpflichtete sich Österreich damals unter anderem dazu, dass das Online-Angebot des ORF, insbesondere dessen tagesaktuelle Überblicksberichterstattung auf „orf.at“, grundsätzlich nicht zeitungsähnlich sein dürfe. Doch tatsächlich unterscheide sich das Nachrichtenangebot auf „orf.at“ schon bisher nicht vom Online-Angebot der Zeitungsverlage, so der Verband. Die Seite „orf.at“ sei „de facto die größte Gratis-Onlinezeitung Österreichs“, kritisierte der VÖZ gegenüber dem epd: Dadurch werde es den Verlagen verunmöglicht, Online-Erlöse über Paid-Content-Angebote zu erzielen.

Der ORF wollte sich auf epd-Anfrage zur EU-Beschwerde des VÖZ nicht äußern. Zu laufenden Verfahren gebe man keine Stellungnahmen ab, hieß es.

Der VÖZ kritisiert in seiner EU-Beschwerde auch, dass die Regierung die künftige ORF-Haushaltsabgabe nicht bei der EU-Kommission zur Prüfung angemeldet habe. Zudem befürchtet der Verband, dass der ORF durch die Änderung der Finanzierung zu viel Geld erhalte, also eine Überkompensation entstehe. Allgemein wird erwartet, dass der ORF aus der neuen Haushaltsabgabe pro Jahr 710 Millionen Euro einnehmen wird. 2022 erhielt der ORF aus dem Programmentgelt rund 690 Millionen Euro. Durch die Umstellung auf die Haushaltsabgabe verliert der ORF ab 2024 das Recht zum Vorsteuerabzug, was für die Rundfunkanstalt finanzielle Einbußen bedeutet. Diese Verluste sollen laut der Gesetzesnovelle ausgeglichen werden.

Die EU-Kommission prüft derzeit auch Beschwerden aus Finnland, Estland und Ungarn gegen die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in diesen drei Ländern. Wie der Kommissionssprecher dem epd sagte, haben das Unternehmen Sanoma Media Finland, der Verband estnischer Medienunternehmen und das ungarische Klubradio entsprechende Beschwerden eingereicht. Angaben zum Inhalt machte er nicht, die drei Beschwerdeführer ließen epd-Anfragen unbeantwortet.

Aus epd medien 39/23 vom 29. September 2023

vnn