Desinformation in Südosteuropa weit verbreitet
Experten diskutieren Strategien gegen Fake News auf Tagung der KAS
Sofia (epd).

In Südosteuropa ist das Misstrauen der Bevölkerung gegen staatliche Institutionen nach Ansicht des bulgarischen Schriftstellers Georgi Gospodinow nach wie vor hoch. Zwar sei die kommunistische Propaganda mit dem Zusammenbruch der totalitären Regime verschwunden, doch Desinformation finde auf dem Balkan fruchtbaren Boden, sagte Gospodinow bei einer Tagung zum Thema „Bluring of the truth: Disinformation in Southeast Europe“ Anfang April in Sofia.

Im Sozialismus habe es keineswegs nur einen Mangel an Waren gegeben, sondern auch ein Defizit an echten Nachrichten, sagte Gospodinow. Dadurch sei ein Schwarzmarkt entstanden für Gerüchte: „Wie bei jedem Mangel, wenn etwas gesucht und nicht gefunden wird, setzt sofort der Schwarzmarkt ein, mit allen möglichen falschen Imitationen. So gewöhnten sich einige Generationen an die Tatsache, dass die Wahrheit nicht offiziell mitgeteilt wird, sondern nur versteckt werden kann. Der einfachste Mechanismus, mit dem man die Wahrheit überbringen kann, ist die Verdrehung dessen, was offiziell gesagt wird.“

Die anwesenden Medienexperten aus Bulgarien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Rumänien und Deutschland waren sich in der Beschreibung der Situation der Medien in den Ländern Südosteuropas einig: Desinformation und Verschwörungserzählen werden in vielen Ländern verbreitet, doch es gibt ihrer Beschreibung nach auch spezifische Unterschiede. In mehreren Runden diskutierten sie über die Rolle der Medien im Zusammenhang mit Desinformation, Propaganda und Fake News. Medien können sowohl aufklärerisch als Instrument zur Bekämpfung von Desinformation wirken, als auch Verbreitungskanäle von Fake News sein.

Ruslan Stefanow vom Center for the Study of Democracy (CSD) in Sofia sagte, Fehlinformationen seien auch deshalb in allen Ländern der Balkanregion fester Bestandteil des öffentlichen Diskurses, weil „die Politiker und staatlichen Institutionen nicht angemessen auf Fake News und Verschwörungserzählungen reagieren, sondern diese bei Bedarf instrumentalisieren“. So habe Russlands Propaganda auch deshalb ein leichtes Spiel in Bulgarien, weil sich viele bulgarische Politiker im Wahlkampf gezielt dem großen russlandfreundlichen Anteil an der Bevölkerung andienten.

Für Serbien bezweifelte Stefan Janitsch, Chefredakteur des Fact-Checker-Mediums „Fakenews Tragac“ in Belgrad, dass Russland serbischen Medien Geld gebe. „Warum sollten sie für etwas bezahlen, das sie umsonst bekommen?“, fragte Janitsch: „Die Medien in Serbien sehen einen finanziellen Nutzen in der Unterstützung Russlands, weil die Menschen Russland lieben.“

Werkzeuge für Täuschen und Desinformation

Patrick Gensing, der von 2017 bis 2022 das Online-Portal „Faktenfinder“ der „Tagesschau“ leitete, berichtete von den persönlichen Angriffen gegen ihn, die seine Arbeit in Deutschland und vor allem seine Recherchen zu Rechtsextremismus mit sich brachten. Alina Bargaoanu vom Beirat der Europäischen Beobachtungsstelle für digitale Medien in Bukarest erklärte, sie erlebe die öffentliche Tagesordnung bereits stärker durch soziale Medien geprägt als durch die traditionellen. Soziale Medien seien zu Werkzeugen für die Etablierung von Fehlinformationen und Verschwörungsnarrativen geworden. Zu deren Bekämpfung bedürfe es neben einer Regulierung der Medienlandschaft vor allem auch verstärkter Bildungsmaßnahmen zur Erhöhung der Medienkompetenz.

Tomass Pildegovics vom NATO Strategic Communications Centre of Excellence in Riga versicherte, die Allianz investiere in für den Kampf gegen Desinformation notwendige innovative Technologien wie5-G, Quantencomputer und Künstliche Intelligenz. Dass diese aber nicht nur Chancen bieten, sondern auch ernstzunehmende Risiken beinhalten, machte der Historiker Christopher Nehring deutlich Er demonstrierte an anschaulichen Beispielen aus dem virtuellen Metaverse der Facebook-Muttergesellschaft Meta, wie die Errungenschaften Künstlicher Intelligenz für nützliche Zwecke beispielsweise in der Medizin genutzt werden können, aber auch als kaum zu entlarvende Werkzeuge zur Täuschung und Desinformation missbraucht werden können.

Die Konferenz wurde vom Medienprogramm Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Sofia gemeinsam mit dem Sofia Security Forum (SSF) und der Assoziation Europäischer Journalisten (AEJ) in Bulgarien veranstaltet. Anlässlich der Konferenz gab das Medienprogramm Südosteuropa der KAS einen umfangreichen Sammelband mit Berichten von südosteuropäischen Autoren zu allen Balkanländern heraus. Er wurde von Christopher Nehring zusammengestellt, der erzeit an der Universität Sofia zu „Medien, Desinformation und Geheimdienste“ lehrt.

Aus epd medien 17/23 vom 28. April 2023

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