Kurz nach seiner Amtsübernahme hat der neue brasilianische Präsident Luiz Inacio „Lula“ da Silva (Arbeiterpartei, PT) einen Teil der Politik seines rechtsnationalistischen Vorgängers Jair Bolsenaro rückgängig gemacht. Acht öffentliche Unternehmen wurden von der Privatisierungsliste, die Bolsonaro 2021 erstellt hatte, gestrichen. Darunter befanden sich auch die öffentlich-rechtlichen Medien (Empresa Brasil de Comunicacao, EBC).
Zu EBC gehören der Fernsehsender TV Brasil, die Radiosender Radio Nacional FM, MEC AM und MEC FM, die Nachrichtenagenturen Agencia Brasil und Radioagencia Nacional sowie das Auslandsradio A Voz do Brasil. TV Brasil wurde 2007 unter Lula da Silva in seiner ersten Amtszeit nach europäischem Vorbild gegründet und sollte den kommerziellen Medien mit ihren Unterhaltungsshows, Serien und Sport das Projekt eines unabhängigen und demokratischen Senders mit dem Schwerpunkt Informationsprogramme und künstlerische Produktionen entgegensetzen. EBC entstand ebenfalls 2007 als öffentlich-rechtliches Dachunternehmen für TV Brasil und die anderen bisher staatlichen Medien.
Ende Januar war der angesehene Journalist und Journalistik-Professor Hélio Doyle zum neuen EBC-Intendanten ernannt worden. Er arbeitete zuvor als Reporter, Redakteur und Chefredakteur von unterschiedlichen Medien.
Mitte Februar stellte der neue, für die Medien zuständige Minister für soziale Kommunikation, Paulo Pimenta (PT), die neue Medienpolitik der Regierung Lula vor. Sie sieht „eine Demokratisierung der Medien und eine Stärkung von EBC“ vor. Dadurch sollen die unabhängigen Medien, „kommunitäre Fernseh- und Radiostationen sowie regionale und periphere Medien“ im Sinne von mehr Pluralität und Vielfalt gestärkt werden. Als Vorbild gilt dabei Argentinien, wo öffentlich-rechtliche Medien eine größere Rolle spielen als in anderen lateinamerikanischen Ländern.
Lula da Silva, der seit Jahresbeginn wieder Präsident ist, will TV Brasil in eine „brasilianische BBC“ umwandeln. Minister Pimenta will dabei die Abhängigkeit von den großen Mediengruppen verringern. So kontrollieren nach Angaben von Reporter ohne Grenzen vier kommerzielle Mediengruppen (Globo, SBT, Record und Band) 71 Prozent des Fernsehmarktes und vier andere Mediengruppen 59 Prozent des Online-Marktes.
Lulas Vorgänger Bolsonaro war stark von den Anhängern der evangelikalen Pfingstkirchen, die fast ein Drittel der 217 Millionen Brasilianer ausmachen, unterstützt worden. Rund die Hälfte der Bevölkerung ist katholisch. Einflussreichster Vertreter der Pfingstkirchler ist der heute 78-jährige Bischof Edir Macedo. 1977 gründete er seine eigene Kirche, die „Universalkirche des Königreichs Gottes“. 1989 kaufte der geschäftstüchtige Bischof auf der Grundlage einer „Theologie des Wohlstandes“ das Fernseh-Network Record, das heute unter seiner Leitung das drittgrößte in Brasilien ist.
Problematisch war das Verhältnis von Bolsonaro zum größten Medienunternehmen des Landes, der Globo-Mediengruppe, und zu anderen traditionellen konservativ-liberalen Medien. Dazu zählt etwa die Folha-Gruppe, die zweitgrößte Zeitungsgruppe in Brasilien um die Zeitung „Folha de S.Paulo“. Bolsonaro bezeichnete schon im Wahlkampf 2018 TV Globo, den größten Fernsehkanal des Landes, als „Feind“.
Zu Globo gehören die mit Abstand größte Fernsehgruppe Rede Globo mit rund 35 Prozent Marktanteil, das sind mehr als die fünf nächstgrößten TV-Networks zusammen, Globosat mit über 30 Pay-TV-Kanälen, die größte Zeitungsgruppe um „O Globo“, die größte Internet-Gruppe mit dem Portal „Globo.com“ und die zweitgrößte Radiogruppe um Radio Globo. Der Konzern betreibt mit GloboPlay auch eine eigene Streaming-Plattform.
Aus epd medien 10/23 vom 10. März 2023