Transparenz ist gefragt
Wenn Journalisten zu PR-Beratern werden

epd Mit der Bundesdrucksache 20/5822 wurde im März öffentlich, wie viele Aufträge Bundesregierung und Bundesbehörden seit 2018 an Journalistinnen und Journalisten vergeben haben. Es ging um Moderationen und Medientrainings, aber auch um Texte und Konzepte. Insgesamt fiel eine Honorarsumme von 1,47 Millionen Euro an. Der Medienwissenschaftler Volker Lilienthal hat dies in epd medien kritisch kommentiert und ein „systemisches Problem“ festgestellt (epd 11/23); inzwischen haben auch mehrere Landesregierungen und Landesbehörden entsprechende Honorarlisten publiziert (vgl. Meldung in dieser Ausgabe). Lars Rademacher, Professor für Unternehmenskommunikation an der Hochschule Darmstadt, führt Lilienthals Überlegungen fort. Nach seiner Ansicht können sich weder Journalisten und Medienbetriebe noch Regierungsstellen aus der Verantwortung stehlen: Rademacher fordert mehr Fingerspitzengefühl bei der Vergabe und Annahme von Aufträgen sowie mehr Transparenz. Der 51-Jährige ist auch ehrenamtlicher Vorsitzender des Deutschen Rats für Public Relations.

epd Die Menge an bezahlten Aufträgen, die von Bundesregierung und Bundesbehörden an Journalistinnen und Journalisten vergeben wurden, hat aufhorchen lassen. Volker Lilienthal beschäftigte sich in epd medien kürzlich unter anderem mit daraus resultierenden potenziellen Abhängigkeiten - mit dem Anschein, Behörden wollten sich Journalisten gewogen machen (epd 11/23). Wenn der Eindruck aufkommt, führenden Medienschaffenden mangele es an der notwendigen professionellen Distanz, stehen Integrität und Staatsferne des Journalismus tendenziell infrage. Das Ganze ist Wasser auf die Mühlen der AfD, die ohnehin Abhängigkeitsverhältnisse insbesondere beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk vermutet.

In seiner luziden Analyse wirft Lilienthal den Ball auch der PR-Ethik zu; denn nicht nur die Akteure des Rundfunks stehen in der Kritik, sondern auch die auftraggebenden Ministerien. Insgesamt, so Lilienthal, sei dies nicht nur eine Blamage für den Journalismus - sondern auch für die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit: „Wären deren Akteure professionell, hätten sie einen Blick auf die Rollenkonflikte geworfen, in die man Journalisten mit bezahlten Regierungsaufträgen bringt“, findet Lilienthal. Das nicht zu bedenken, sei „mindestens Gedankenlosigkeit“. Diesen Ball greife ich hier aus Sicht der PR-Ethik auf.

Zunächst: Lilienthal fordert zu Recht mehr Sensibilität und Selbstflexion von den Journalisten ein. Wer Aufträge aus führenden Regierungskreisen annimmt, muss damit rechnen, dass ihm oder ihr eine Nähe unterstellt werden kann. Mit sowas sollte man also haushalten und sich Engagements und deren Häufigkeit gut überlegen und zweckmäßigerweise auch so auswählen, dass zwischen dem gewöhnlichen Geschäft in der Berichterstattung und etwa dem Moderationsjob inhaltlich größtmögliche Distanz besteht. So entkommt man zumindest dem Vorwurf, man verquicke Amt (den journalistischen Brotberuf) und (Beratungs-)Mandat.

Auftrag ist nicht gleich Auftrag

Aber auch in der Art der Aufträge kann und sollte man als Journalist wie als beauftragende Behörde Umsicht bewahren, denn hier steckt der Teufel im Detail. Nehmen wir zum Beispiel Tätigkeiten in der Redaktion oder als Ghostwriter von Vorstands- oder Ministerreden. So was gibt’s - und zwar nicht gerade selten. Und die Aufgabe wird man eigentlich nur jemandem übertragen, der sich inhaltlich gut auskennt, also jemandem, der genau zu solchen Themen arbeitet. Damit ist die inhaltliche Verquickung fast schon automatisch. Natürlich ist einem Journalisten, einer Journalistin eine bewusste Distanznahme zu Themen und Akteuren auch in einem solchen Fall nicht pauschal abzusprechen. Sie ist aber ungleich schwerer aufrechtzuerhalten, das sollte klar sein.

Noch dramatischer wird es bei Leistungen wie einem inhaltlichen Sparring oder gar bei Medientrainings: Wer zwei, drei Tage am Stück eine Ministerin oder einen Staatssekretär trainiert, der baut nun einmal Vertrautheit auf. Das ist nicht zu verhindern. Und sich von einer solchen, auch persönlichen Nähe und vielleicht sogar Sympathie dann noch einmal nachträglich zu distanzieren, ist nur bedingt möglich und setzt nicht nur erhebliche Selbstkontrolle, sondern vielleicht gar eine gewisse professionelle Kälte voraus.

Drehen wir an der Stelle einmal die Perspektive um: Warum genau beauftragen Ministerien und Behörden führende Journalistinnen für die Moderation? Geeignete Moderatoren außerhalb des Journalismus gäbe es ja landauf, landab. Warum also diese Promis wie Zervakis und andere? Es geht sicherlich einerseits um Augenhöhe: Wer Journalisten einkauft, die auf diesem Level arbeiten, geht davon aus, dass sie sich nicht von „hohen Tieren“ wie Top-Politikern, Ministerialen oder Experten einschüchtern lassen. Sie fragen auf Augenhöhe und haben mit den betreffenden Akteuren vielleicht auch schon früher einmal diskutiert oder sie interviewt. Man kennt sich und spielt die Situationen aus der Vergangenheit gewissermaßen nach. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche moderierte Runde gelingt, ist damit hoch.

Sparringspartner hinter den Kulissen

Ein zweiter Punkt ist die Bekanntheit der renommierten Moderatorinnen und Moderatoren. Denn nicht jede Behörde hat bekannte Köpfe und Diskutanten zu bieten. Prominente Moderatoren werten die gesamte Veranstaltung auf, nicht selten ist die renommierte Moderatorin das bekannteste Gesicht auf dem gesamten Event. Das hebt die Attraktivität des Panels und schafft natürlich eine Art von Vertrautheit für die Zuschauerinnen oder Zuhörer. Hier wird die Moderatorin zum Aushängeschild, zum Kolorit, ihre Prominenz strahlt ab.

Hinter den Kulissen werden Journalisten aber auch als Sparringspartner und Trainer gebucht - und dies beileibe nicht nur in der Politik, sondern vor allem in der Wirtschaft. Sicher, wer sich eine Top-Journalistin vom „Spiegel“, der „Süddeutschen“ oder der ARD ins Haus holt, um einen Speaker wie einen Staatssekretär zu challengen - etwa um ihn auf Pressekonferenzen oder öffentliche Auftritte vorzubereiten -, der geht davon aus, dass die Journalistin ihn „hart rannimmt“, ihn unter Live-Bedingungen testet. Daraus dann abzuleiten, diese würde anschließend weniger kritisch über die betreffenden Politiker berichten, wäre mindestens naiv. Gleichwohl: Journalisten, die darauf eingehen, stecken in der Bredouille. Wollen sie sich nicht ethisch in den Graubereich begeben, dürfen sie überhaupt nicht zum gleichen Thema berichten, zu dem sie hier beraten haben.

Ziffer 6.1. des Pressekodex legt fest: „Übt ein Journalist oder ein Verleger neben seiner publizistischen Tätigkeit eine Funktion beispielsweise in einer Regierung, einer Behörde oder einem Wirtschaftsunternehmen aus, müssen alle Beteiligten auf strikte Trennungen dieser Funktionen achten. Gleiches gilt im umgekehrten Fall.“ Nun mag man sich damit herausreden, dass da „in“ einer Regierung steht. Aber es ist leicht zu erkennen, dass vom Sinn her auch „für“ eine Regierung mit gemeint ist. Wer Politiker aktiv berät, sollte nun einmal nicht über sie berichten. Punkt. Aber auch die Regierungen und Behörden als Auftraggeber hätten auf diese Distanz zu achten. Das stellt der Pressekodex ebenso klar.

Kommunikationskodex gilt

Hier ist aber noch eine ganz andere Frage zu stellen, die so mancher Journalist sicher ungern hören mag: Ist ein Journalist, der sich als Moderator für eine Veranstaltung einkaufen lässt, denn noch als Journalist tätig? Antwort: Das hängt davon ab! Es kommt auf die Vorgaben und das Ziel der Moderation an. Ist ein Journalist, der ein Medientraining mit einem Ministeriumsmitarbeiter durchführt, denn noch als Journalist tätig? Antwort: Auf gar keinen Fall! Natürlich wird er eingeladen wegen seiner journalistischen Erfahrung, seiner Fähigkeiten, seiner nachweislichen Kompetenz. Aber wer ein Regierungsmitglied oder eine Behördenleitung berät, macht ganz schlicht PR.

Journalistinnen und Journalisten, die sich auf Beratungsmandate in Wirtschaft und Politik einlassen, wechseln unter der Hand die Profession und sind - bezogen auf diesen Auftrag - PR-Berater. Da wirkt der Satz des Netzwerks Recherche „Journalisten machen keine PR“ nur noch wie ein frommer Wunsch.

Und damit gilt für sie ebenso der Deutsche Kommunikationskodex, der in Ziffer 5 festhält: „PR- und Kommunikationsfachleute trennen Amt und Mandat. Einzelpersonen dürfen in derselben Angelegenheit nicht gleichzeitig im Arbeitsfeld Public Relations und als Journalist oder Mandatsträger tätig werden. PR-Aufträge und journalistische Aufträge sind strikt getrennt zu halten.“

Soweit das Ideal, soweit die Theorie. Was ist mit der Praxis? Lilienthal verweist auf inzwischen eingeführte Compliance-Regeln bei öffentlich-rechtlichen Sendern. Insbesondere der Deutschlandfunk hat hier dezidierte Regeln entwickelt und nimmt für diese sowohl feste als auch freie Mitarbeiter in die Pflicht. Die Frage ist allerdings: Welchen Wert haben diese allgemeinen Verpflichtungen? Kann ich tatsächlich freie Mitarbeiter, die die gegebenenfalls um ihren Lebensunterhalt ringen müssen, ebenso auf eine Regel einschwören wie feste? Die beste und einleuchtende Maßnahme gegen diese Art der Korruption wäre hier, möglichst viele dieser Journalisten einfach anzustellen. Als Teil der Organschaft kann ich von ihnen andere Verbindlichkeit in diesen Fragen abverlangen.

Regeln für die ganze Lieferkette

Und was ist mit den besagten prominenten Journalistinnen und Journalisten, von denen zumindest im TV viele selbstständig sind und eigene Produktionsgesellschaften betreiben? Kann ich sie tatsächlich auf Compliance-Regeln in der Lieferkette verpflichten, auf etwas also, was im produzierenden Gewerbe in den vergangenen Jahren stark um sich gegriffen hat?

Einer solchen Logik folgend müssten dann nämlich nicht nur die Sender und Verlage selbst entsprechende Regularien einhalten, sie müssten zudem darauf achten, dass auch in ihren Zulieferbetrieben diese Regeln eingehalten werden: von selbstständigen Journalistinnen und Journalisten, von Produktionsgesellschaften, von Nachrichtenagenturen und so weiter. Ich mag mich irren, aber nach meinem Eindruck sind Medienbetriebe in Deutschland längst noch nicht so weit, die Komplexität und Auswirkungen dieser Konstellationen zu erfassen.

Den Schaden, den das System Journalismus hier nehmen kann, hat Lilienthal schon betont: Es steht die grundsätzliche Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit des Journalismus infrage. Und daran hat auch die PR tatsächlich kein Interesse. Denn ohne unabhängigen Journalismus keine effektive PR.

Was also wäre die Lösung, kurzfristig und mittelfristig? Kurzfristig geht es um Fingerspitzengefühl und Takt, und das auf allen Ebenen: bei Journalisten, die Aufträge annehmen, bei Medienbetrieben, die Compliance-Regeln aufstellen - und bei Behörden und Regierungseinrichtungen, die Aufträge erteilen. Journalisten sollten prüfen, wie nahe ihnen der Auftraggeber jetzt schon steht, ob sie Nebeninteressen vermuten - und wie sich eine Beauftragung auf ihre öffentliche Rolle auswirken kann. Medienunternehmen sollten ihre Mitarbeiter so auskömmlich bezahlen, dass diese sich mit dieser Haupttätigkeit finanzieren können. Und bei Produkten und Leistungen, die sie einkaufen, Regeln, die Transparenz ermöglichen und Korruption verhindern, mehr als bislang zum festen Bestandteil ihrer Verträge von Lieferantenvereinbarungen machen.

Und Regierungen und Behörden sollten bedenken, in welche Schwierigkeiten sie Journalisten bringen, die in der Vergangenheit über die Arbeit des eigenen Hauses berichtet haben - und daraus die Konsequenz ziehen, jemand anderen zu beauftragen.

Und so sehr ich Lilienthal zustimme, dass es jetzt nichts bringt, die Namen und Beträge aus der Vergangenheit einzeln herauszukramen und namentlich aufzuschlüsseln: Ich sehe überhaupt keinen Grund, warum die deutsche Regierung und ihre nachgeordneten Behörden nicht auf freiwilliger Basis ankündigen, Regierungsaufträge für Journalisten und Journalistinnen vom kommenden Jahr an in einem Jahresbericht mit Nennung von Namen und Beträgen zu veröffentlichen. Warum nicht die Flucht nach vorn, der Geist ist eh aus der Flasche - die AfD wird sicher in schöner Regelmäßigkeit solche Anfragen stellen.

Und: Unternehmen wie beispielsweise Munich Re haben es in der Vergangenheit bereits vorgemacht, indem sie aufgelistet haben, mit welchen Journalisten sie in einem Berichtsjahr intensiv zusammengearbeitet haben. Wenn klar ist, dass sie am Ende in einem solchen Bericht auftauchen, werden sicher auch die betreffenden Journalisten penibel darauf achten, dass sie nur Aufträge mit genügend Distanz zu ihrem Kerngeschäft annehmen. Transparenz und Fingerspitzengefühl sind hier gefragt. Transparenz ist in diesem Fall ein Schutzschild, der alle schützt: die Journalisten, die auftraggebenden Regierungsstellen - und die Unabhängigkeit des Journalismus.

Aus epd medien vom 5. Mai 2023

Lars Rademacher