Zur Innovationsförderung im Journalismus

Die Medienwissenschaftler Christopher Buschow und Christian-Mathias Wellbrock empfehlen, Innovationen im Journalismus gezielt mit öffentlichen Mitteln zu fördern. Notwendig sei ein Konzept, das sowohl Neugründungen als auch die Innovationen etablierter Medien unterstütze, schreiben die beiden in einem Gutachten im Auftrag der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (epd 39/20). In diesem Gastbeitrag fassen sie ihre wichtigsten Erkenntnisse zusammen. Das vollständige Gutachten "Die Innovationslandschaft des Journalismus in Deutschland" mit umfassender Problemanalyse und einem Überblick über vielversprechende Förderinstrumente für Innovationen im Journalismus kann unter http://u.epd.de/1mru heruntergeladen werden. Buschow ist Juniorprofessor für Organisation und vernetzte Medien im Fachbereich Medienmanagement an der Bauhaus-Universität Weimar. Wellbrock arbeitet als Professor für Medien- und Technologiemanagement an der Universität zu Köln.

Dass der Bundestag jüngst 220 Millionen Euro für die "Förderung der digitalen Transformation des Verlagswesens zur Förderung des Absatzes und der Verbreitung von Abonnementzeitungen, -zeitschriften und Anzeigenblättern" bereitgestellt hat, unterstreicht die Dringlichkeit einer öffentlichen Journalismusförderung auch in Deutschland (epd 28/20).

Zwar erarbeitet das federführende Wirtschaftsministerium bereits ein Förderkonzept, mit dem die neuen Bundesmittel verteilt werden sollen. Wie genau jedoch der Journalismus durch die öffentliche Hand gestärkt werden kann, bleibt Gegenstand medienpolitischer Diskussionen sowohl im Bund wie auch in den Ländern. Von Zustell- und Infrastrukturförderung über nutzerseitige Anreize wie Journalismus-Gutscheine bis hin zu einer journalismusbezogenen Innovationspolitik sind aktuell sehr unterschiedliche Modelle im Gespräch. Ein Grund ist sicherlich, dass die Förderung der privatwirtschaftlich organisierten Presse in Deutschland, ganz im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, keine ausgeprägte Tradition hat.

In unserem im Auftrag der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen erstellten Gutachten "Die Innovationslandschaft des Journalismus in Deutschland" diskutieren wir, mit welchen Maßnahmen und Instrumenten die öffentliche Hand speziell die Entstehung von Innovationen im Journalismus unterstützen kann. Mit Innovationen meinen wir die anbieterseitige Entwicklung und Anwendung neuartiger Produkte, Prozesse, Geschäftsmodelle und Organisationsformen im und für den Journalismus.

Barrieren und Hemmnisse

Eine wirksame und effiziente Innovationsförderung sollte evidenzbasiert sein, das heißt auf einer (wissenschaftlichen) Analyse von innovationsbeeinflussenden Rahmenbedingungen und innovationsbetreibenden Schlüsselakteuren sowie den jeweils bestehenden Hürden und Hindernisse für Innovation fußen. Aus diesem Grund führen wir im Gutachten, soweit möglich, die vorliegende wissenschaftliche Expertise zu Innovationsbarrieren im deutschen Journalismus zusammen. Ausgehend von dieser Problemanalyse können geeignete Fördermaßnahmen vorgeschlagen werden, mit denen die öffentliche Hand bei der Überwindung der Barrieren und Hemmnisse helfen kann. Dabei folgen wir einem weiten Verständnis von öffentlicher Innovationspolitik, das über die simple finanzielle Bezuschussung einzelbetrieblicher Innovationsaktivitäten deutlich hinausgeht.

Unsere Analyse zeigt, dass die Innovationsbarrieren in den Bereichen Finanzierung, Wissen und Berufskultur sowie Kooperation besonders stark ausgeprägt zu sein scheinen. Der öffentlichen Hand stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung, um hier Abhilfe zu schaffen - direkte finanzielle Unterstützung ist dabei nur ein Baustein unter mehreren in einer systematischen Förderstrategie. Die folgenden Kernbefunde können sowohl das Bundeswirtschaftsministerium informieren, sofern die Bundesmittel für eine journalismusbezogene Innovationspolitik verwendet werden sollen, wie auch zukünftige Innovationsprogramme im Journalismus auf Bund- und Länderebene sowie in Anstalten des öffentlichen Rechts.

Das Gutachten identifiziert eine erhebliche Finanzierungslücke für Innovationen im deutschen Journalismus, die vor allem auf einen Mangel an dauerhaft engagierten Financiers und zu geringe Budgets zurückzuführen ist. Während private Mittel für Neugründungen und einzelne Medienschaffende kaum zur Verfügung stehen, investieren etablierte Medien ihre Innovationsbudgets offenbar schwerpunktmäßig in digitale Geschäftsfelder abseits des Journalismus. Angesichts der fehlenden Anschubfinanzierung ist die direkte finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand im Rahmen staatsfern organisierter Förderprogramme, insbesondere in Form von zeitlich befristeten Zuschüssen und Darlehen für spezifische Projekte von Gründerinnen und Gründern oder Bestandsunternehmen, geboten. Sie sollte den ersten Baustein einer systematischen Innovationspolitik im deutschen Journalismus darstellen.

Das Gutachten zeigt auch, dass mehrere Bundesländer, darunter Bayern, Nordrhein-Westfalen, Berlin und Brandenburg sowie Hamburg, bereits mit einer strukturierten Innovationspolitik für den Journalismus vorangegangen sind. Die bestehenden Initiativen (Journalismus Lab der Landesanstalt für Medien NRW, Medialab Bayern, Medieninnovationszentrum Babelsberg, Nextmedia Hamburg) sind jedoch bislang primär regional ausgerichtet und mit kleinen Budgets ausgestattet im Vergleich zum europäischen Ausland und zu den privatwirtschaftlichen Initiativen von Google und Facebook (epd 39/18). Auf derzeitigem Forschungsstand und im europäischen Vergleich scheint zudem ihr Fokus auf die Unterstützung von Neugründungen unzureichend.

Erhöhter Zeit- und Ressourcenaufwand

Auch bestehende Medienunternehmen sollten - über dieselben staatsfern organisierten wettbewerblichen Verfahren - Anschubfinanzierungen für Innovationsprojekte einwerben können.

Die Entwicklung journalistischer Innovationen nimmt oftmals vergleichsweise viel Zeit in Anspruch, da Wachstum und Reichweitenaufbau unter den Bedingungen des digitalen Medienmarktes mit Hemmnissen verbunden sind. Diesen erhöhten Zeit- und Ressourcenaufwand und die längeren Innovationszyklen müssen Förderprogramme in Rechnung stellen. Eine Aufstockung der Budgets für direkte finanzielle Unterstützung sowie eine bundesweite Etablierung von strukturierten Innovationsprogrammen, die sowohl Neugründungen als auch die Innovationsaktivitäten etablierter privatwirtschaftlich organisierter Medienunternehmen flexibel und mit Geduld fördern, sind daher naheliegend.

Die föderale Förderlandschaft in Deutschland könnte dabei ihre Stärken ausspielen, indem eine größere Arbeitsteilung unter den Programmen beziehungsweise eine bewusste regionale Ausrichtung auf Schlüsselthemen realisiert wird: Beispielsweise könnte ein Standort als Zentrum für Innovationen im Bereich journalistischer Genres oder Angebote positioniert sein, ein anderer für Geschäftsmodellinnovationen im Journalismus.

Für ganz Europa gilt, dass die öffentliche Hand die wachsende Zahl an nicht gewinnorientierten, gemeinnützigen Neugründungen im Journalismus und ihr großes Potenzial noch nicht ausreichend berücksichtigt. Hier wäre Raum für eine weitere Positionierung: Ein speziell für die Unterstützung von Non-Profit-Journalismus eingerichtetes Innovationsprogramm könnte in enger Abstimmung mit Stiftungen, Spenderinnen und Spendern sowie Mäzeninnen und Mäzenen arbeiten und zugleich dem bislang unterentwickelten finanziellen Engagement entgegenwirken.

Innovationsskeptische Berufskultur

Das Gutachten stellt einen Mangel an innovationsrelevantem Wissen, einschlägigen Fertigkeiten sowie an Sach- und Fachkompetenzen im Bereich Innovation und Gründung unter den journalistischen Akteuren fest. Die journalistische Ausbildung und eine grundsätzlich innovationsskeptische Berufskultur im Journalismus werden als zentrale Hemmnisse identifiziert. Da die grundständige Ausbildung an Hochschulen, Universitäten, Journalistenschulen und im Volontariat in Folge der Digitalisierung ohnehin ständig anwachsende Curricula zu bewältigen hat und die berufliche Weiterbildung durch Medienhäuser mutmaßlich auch in Deutschland rückläufig ist, liegt es nahe, dass die bestehenden Lücken durch staatliche Innovationspolitik geschlossen werden sollten.

Die Weiterentwicklung und Intensivierung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen bildet einen zweiten wichtigen Baustein einer Innovationspolitik für den Journalismus. Nach dem Stand der Forschung ist es zweckdienlich, dass die bestehenden Innovationsprogramme in den Bundesländern diese Rolle heute bereits mitübernommen haben: Das Medialab Bayern, Journalismus Lab und so weiter verbinden finanzielle Unterstützung mit additiven Coachings und Trainings, was nachweislich die Erfolgsquote von Innovationsprojekten erhöht.

Bislang liegt der Schwerpunkt von Schulungen, Netzwerkarbeit und Mentoring-Angeboten allerdings auf der Unterstützung einzelner Gründerinnen und Gründer oder von Gründerteams; die Weiterbildungsmaßnahmen sollten auf bestehende Medienunternehmen ausgeweitet werden, um ihre häufig unterentwickelte Innovationskultur zu verbessern. Angesichts einer weit verbreiteten Kultur der Innovationsskepsis und einer traditionellen Arbeitsweise im Journalismus ist es ratsam, die Förderung auf Personen und Organisationen zu konzentrieren, die eine grundsätzliche Offenheit für Innovationsthemen mitbringen, um die Mittel möglichst effizient einzusetzen. Dabei bedarf es noch der Entwicklung geeigneter Instrumente, um die der Innovation zugeneigten Akteure zu identifizieren.

Die gezielte Förderung von Diversität in journalistischen Organisationen, das heißt in Bezug auf Geschlecht, soziale Schicht, ethnische Hintergründe, kulturelle Lebenswelt und so weiter, verspricht ferner innovative Marktchancen durch die passgenaue Ausrichtung auf neue Publikumsschichten, deren Lebenswelten heute zumeist noch nicht in Redaktionen repräsentiert sind.

Kooperationsprobleme

Schließlich zeigt das Gutachten fundamentale Kooperationsprobleme im deutschen Journalismus auf. Das gilt grundsätzlich für alle Akteure, also sowohl für Verlage, Rundfunk und Neugründungen als auch für potenziell innovationsunterstützende Akteure wie Universitäten, Hochschulen und mögliche Finanzgeber. Da die bestehenden Herausforderungen der Zusammenarbeit offenbar nicht selbsttätig gelöst werden können, Innovationsprozesse aber wesentlich auf den wechselseitigen Austausch von Wissen, Kompetenzen und Ressourcen angewiesen sind, sind innovationspolitische Interventionen und Anreize angezeigt.

Die künftige Innovationsfähigkeit des deutschen Journalismus wird in hohem Maße von der Vernetzung unter seinen Akteuren abhängen, weshalb Kooperationsförderung einen dritten zentralen Baustein der Innovationspolitik darstellt. Um Kooperationen unter den Schlüsselakteuren zu begünstigen, sollte Vernetzung mit finanziellen Anreizen verbunden werden: In wettbewerblichen Vergabeverfahren könnten Konsortien und Zusammenschlüsse unterschiedliche Arten von Privilegien erhalten, zum Beispiel durch höhere Förderquoten oder Sonderförderlinien für Gemeinschaftsprojekte. Der Einbezug von branchenfremden, zum Beispiel technologieorientierten Akteuren könnte hierbei nochmals gesondert priorisiert werden.

Auch der Wissens- und Informationsfluss zwischen dem Journalismus und angrenzenden Bereichen scheint bislang in vielerlei Hinsicht unterentwickelt. Speziell im Wissenschaftsbetrieb bestehen momentan nur wenige Anreize, praxisrelevante Innovationen für den Journalismus (mit-)zuentwickeln. Sowohl die Wissenschaftspolitik als auch die akademische Selbstverwaltung in Hochschulen und Universitäten könnten Kooperation durch spezifische Anreizsysteme stärken. Vor dem Hintergrund der wachsenden Relevanz vernetzter Organisationsformen - etwa Wertschöpfungsverbünde oder primär publizistische Recherchenetzwerke im Journalismus - kann ein Schwerpunkt auf die Förderung dieser Organisationsinnovationen gelegt werden, zum Beispiel durch gezielte Ausschreibungen zu diesem Schlüsselthema.

Eine Förderung würde nicht nur Medienorganisationen hervorbringen, die sich durch entsprechendes Ressourcenpooling als wirtschaftlich beziehungsweise publizistisch schlagkräftiger erweisen dürften, sondern zugleich die innovationsbetreibenden Akteure in einen stärkeren Austausch bringen und so gegebenenfalls Folgeinnovationen aus ihrer Zusammenarbeit anstoßen.

Schließlich sollten vonseiten des Staates auch die rechtlichen Grundlagen für mehr Kooperationsmöglichkeiten unter den Akteuren gelegt werden, etwa bezogen auf kartellrechtliche Vorbehalte im Bereich der Distribution und Vermarktung.

Förderung nicht überschätzen

Die drei Bausteine unterstreichen, dass die öffentliche Hand wichtige Maßnahmen ergreifen kann, um die Innovationsfähigkeit des Journalismus in Deutschland positiv zu stärken. Insgesamt sollten die Erwartungen allerdings nicht zu hoch gesetzt werden. Auch eine systematische Innovationspolitik für den Journalismus kann nur eine Teilantwort auf seine gegenwärtigen Problemlagen sein. Darüber hinaus gilt im Journalismus schon aus grundsätzlichen demokratietheoretischen Erwägungen die Devise einer möglichst großen Staatsferne, so dass bereits der Anschein einer Einflussnahme der öffentlichen Hand auf die Ausgestaltung von journalistischen Inhalten unbedingt zu vermeiden ist.

Nicht zuletzt muss eine spezifische Innovationspolitik für den Journalismus neben dem Kriterium der Innovativität im wirtschaftlichen Sinne immer auch die publizistische Wirkung von Innovationen, zum Beispiel gemessen am Beitrag zu Medienvielfalt und -pluralität, journalistischer Beschäftigungswirkung oder Qualität von Medieninhalten, mit in Rechnung stellen.

Aus epd medien 40/20 vom 2. Oktober 2020

C. Buschow und C.-M. Wellbrock