Reiches Angebot
Die Kulturwellen der ARD

epd Das Angebot der ARD-Rundfunkanstalten an Kulturradios ist beachtlich. Elf Kulturwellen hat unser Autor Dietrich Leder gezählt: SWR2, Bremen 2, RBB Kultur, Bayern 2, NDR Kultur, BR-Klassik, HR2-Kultur, MDR Kultur, MDR Klassik, SR2 Kulturradio und WDR3. In den vergangenen Wochen hat sich Leder die Kultursender angehört, um herauszufinden, ob und wie sich die föderale Vielfalt der ARD hier widerspiegelt. Registriert und angehört wurden alle Programme, die in der ARD-Audiothek unter der Überschrift Kultur firmieren.

epd Als WDR-Intendant Tom Buhrow am 2. November in Hamburg seine Vorschläge für „eine große Reform des gemeinnützigen Rundfunks“ unterbreitete, nannte er zuerst die 64 Radiowellen, die von den ARD-Sendern betrieben werden, und stellte die Frage: „Warum so viele?“ Die Frage sei berechtigt, führte er aus, „weil es einiges doppelt gibt“. Sein Beispiel für doppelte Strukturen kleidete er dann in weitere Fragen: „Hört sich Beethoven in Heidelberg anders als in Halle und Hamburg? Nein? Brauchen wir dann in der ARD mehrere Radios für klassische Musik?“ Wenn es also ans Einsparen geht, fallen dem WDR-Intendanten zunächst die klassischen Kulturradios der ARD ein. Erst danach nannte er „Schlagerwellen oder Inforadios“.

Anlass für eine kleine Bestandsaufnahme dessen, was die Kulturradioprogramme, zu denen hier auch die reinen Klassiksender vom Bayerischen Rundfunk (BR) und vom Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) gerechnet werden, gegenwärtig leisten. Die insgesamt elf Programme wurden über drei Wochen zu unterschiedlichen Tageszeiten eingeschaltet und über längere Strecken angehört. Das, was nicht in der laufenden Ausstrahlung gehört werden konnte, wurde über die ARD-Audiothek nachgeholt. Die einzelnen Sendungen wurden verglichen und am kulturellen Anspruch des jeweiligen Senders gemessen.

Mobiles Nebenbeihören

Möglich wurde dieses Hörexperiment, weil all diese Programme bundesweit über Kabel (begrenzt noch analog, in der Regel digital) und Satellit (digital) sowie über das Internet (digital) empfangen werden können. Die Programme wurden unterschiedlich gehört, mal konzentriert über die heimische Stereoanlage, mal über kleine Radios in der Küche und im Schlafzimmer, mal unterwegs über das Telefon. Diesen diversen Hörweisen entsprechen unterschiedliche Haltungen: Stationäre und aufwendige Geräte erheischen deutlich mehr Aufmerksamkeit als kleine und mobile. Aber der Übergang kann fließend sein: Vor der teuren Hi-Fi-Anlage kann das Zuhören auf einmal wegdriften, so wie mobiles Nebenbeihören manchmal zu konzentriertem Hinhören führen kann.

Auf die Vielfalt der Hörweisen gehen alle Kulturwellen ein. Die Claims, mit denen die Sender ihre Kulturprogramme bewerben, deuten aber an, dass sie den Hörerinnen und Hörern etwas abverlangen, wenn es etwa wie bei SWR2 heißt: „Kultur neu entdecken“. Bremen 2 verspricht: „Neugier lohnt sich“, RBB Kultur verheißt sogar: „Deine Ohren werden Augen machen“. Es sind Programme für alle, „die mehr wissen wollen“ (Bayern 2) oder für diejenigen, die schlicht „hören und genießen“ wollen (NDR Kultur).

Formal fällt auf, dass die ARD-Sender sich bemühen, sich in der Bezeichnung ihrer vielen Radiowellen zu unterscheiden. Mal werden sie vom jeweiligen Sender durchnummeriert, mal mit eigenen Namen versehen, die die Inhalte (Kultur, Klassik) benennen, mal geben sich die Sendernamen jugendlich-verrätselt - das gilt vor allem für Jugendsender wie Fritz, Dasding oder Puls. Manche Sender nummerieren einige Wellen durch, während sie andere mit Namen ausstatten. Der Programmname wird mal in Versalien geschrieben, mal in klassischer Schreibweise, mal in Kleinschrift. Die durchnummerierten Sender werden mal mit, mal ohne Leerstelle zwischen Sendername und Ziffer geschrieben.

So vielfältig, wie sich die Programme mit ihren Namen und Schreibweisen geben, sind sie inhaltlich nicht. Die Kulturprogramme lassen sich grob in drei Gruppen gliedern: Da sind zum Ersten die Programme HR2, NDR Kultur, Bremen Zwei, RBBKultur, SR 2, SWR2 und WDR3, die klassische Musik (und in einigen Sendungen auch Jazz und anspruchsvollen Pop) spielen und zudem Kultur und Künste im weiten Sinne thematisieren; hinzu kommen vor allem abends und am Wochenende Features und Hörspiele. Eine zweite Gruppe, zu der Bayern 2 und MDR Kultur zählen, widmet sich ähnlichen Themen und Sendeformen, hat aber als Musikfarbe gehobene Popmusik, Chanson und Jazz, verzichtet also auf die klassische Musik, denn die ist von beiden Sendern an eigene Programme ausgegliedert: BR Klassik und MDR Klassik. Diese Klassiksender bilden die dritte Gruppe der Kulturprogramme. Auch in ihnen finden sich Berichte über Veranstaltungen, Kritiken zu Neuerscheinungen und Porträts, doch die beziehen sich in der Regel auf die Musikfarbe, die hier im Mittelpunkt steht.

Alle heutigen Radioprogramme der ARD entstanden in einem komplizierten Entwicklungsprozess, in den historische Faktoren wie Frequenzknappheit, Konkurrenz des Fernsehens, Wünsche der Landespolitik, Konkurrenz durch Privatradios einwirkten. Pauschal gesagt, entstanden die Kulturradios im Lauf der 1970er und 1980er Jahre, weil all das, was als sperrig oder kompliziert galt und konzentriertes Zuhören verlangte, aus den einstigen Vollprogrammen ausgegliedert wurde. In den 1990er Jahren wurden viele Kulturwellen nach der damals vorherrschenden Vorstellung des Formatradios modifiziert, beispielsweise wurden fachmusikalische Musikmagazine durch moderierte Magazine ersetzt.

Doppelter Kulturtransfer

Die Ausgliederung der klassischen Musik an ein Kultur- oder ein Klassikprogramm hatte eine Nebenfolge. Seither tragen die Kulturwellen allein die Kosten für die Orchester, Chöre und Bands, die von den öffentlich-rechtlichen Sendern Ende der 1940er und im Lauf der 1950er Jahre gegründet worden waren. Die Sender brauchten die Klangkörper damals, um Programm machen zu können, mit ihnen wollten sie sich von der Musikindustrie unabhängig machen. So konnten sie später eine Zeit lang auf das Abspielen industrieller Tonträger verzichten. Gleichzeitig sollten die sendereigenen Orchester, Chöre und Bands im Sendegebiet auftreten und so für kulturelle Vielfalt in Gegenden sorgen, die sich anders als Großstädte solche Klangkörper nicht leisten konnten.

Die Liveübertragungen aus den städtischen Gebäuden und den Schulaulen der kleineren Städte waren nicht nur in den 1950er und 1960er Jahren, sondern sind bis in die Gegenwart ein doppelter Kulturtransfer: So wird die klassische Musik, zu der auch die des 20. und 21. Jahrhunderts gehört, in hoher Qualität in die Regionen getragen und die Regionen zugleich an die Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gebunden. Bis heute zeichnen sich alle Klangkörper der ARD-Anstalten durch hohe Qualität aus und bis heute bilden Konzertaufzeichnungen der eigenen Orchester und Chöre und die Mitschnitte der regionalen Festivals und Musiktage das Gros der Abendsendungen in den Kulturradios. Hinzu kommen Übernahmen von anderen ARD-Sendern und Aufnahmen europäischer Sender wie der BBC.

Das überreiche Angebot innerhalb des dreiwöchigen Hörmarathons umfasste Klavier- und Liederabende, Sinfonie- und Kammerkonzerte, Opernaufzeichnungen und Jazz-Sessions. Es gab traditionelle Angebote, in denen das, was zum Kanon der klassischen Musik gehört, live gespielt wurde, wie zum Beispiel am 4. November, als BR Klassik aus der Isarphilharmonie ein Konzert des hauseigenen Sinfonieorchesters unter Leitung von James Gaffigan mit Stücken von Rachmaninow und Richard Strauss übertrug. Es gab überraschende Mischungen wie am 11. November, als HR2 live ein Konzert seines Sinfonieorchesters unter Leitung von Emmanuel Tjeknavorian ausstrahlte, in dem auf Tschaikowsky ein Stück vom Filmkomponisten Miklós Rózsa folgte. Und es gab Entdeckungen, als etwa WDR3 von den „Tagen Alter Musik in Herne“ am 13. November leicht zeitversetzt das eher unbekannte, aber fidele Pastoralspiel von Josef Haydn mit dem Titel „La fedeltà premiata“ übertrug.

Markante Erinnerungsmomente

Der Reichtum dessen, was die Kulturprogramme in diesen Konzerten anboten, kann hier nur angedeutet werden. Es ist ein Angebot, das in Qualität und Quantität das überstrahlt, was in einem vergleichbaren Zeitraum in einer europäischen Weltstadt wahrgenommen werden könnte.

Ein ähnlicher Reichtum in der Qualität (aber nicht in der Quantität) zeigte sich auf dem Hörspielsektor. Was gab es da nicht alles zu bestaunen! Beispielhaft sei genannt: Das dreiteilige Hörspiel „Haus der aufgehenden Sonne“ nach einem Text von Friedrich Ani und in der Inszenierung von Alex Schaad, das BR und SWR gemeinsam produzierten und das auf Bayern 2 im Oktober zu hören war, SWR2 strahlte es von Ende Oktober bis Mitte November aus). Ani ist einer der besten deutschen Krimiautoren, der seine Geschichten eher charakter- als plotorientiert anlegt, der soziale Situationen auf das Genaueste zu schildern weiß und dessen Figuren stets höchst widersprüchlich agieren. In diesem Dreiteiler um die Oberkommissarin Fariza Basri (Franziska Schlattner) und den pensionierten Ermittler Jakob Franck (Martin Feifel) ist der Täter ein Kollege, was die Aufklärung nicht unbedingt erleichtert.

Bei SWR2 lief am 19. November der erste Teil des zweiteiligen Hörspiels „Die Entflohene“, das auf dem sechsten Band des Romans „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust basiert. Proust starb im November 1922, sein Todesdatum war einer der markanten Erinnerungsmomente in der Kulturberichterstattung im November. Solche Daten strukturieren das Jahr der Kulturradios und sie laden zu Sendungen ein. Das „Zeitzeichen“ des WDR, das SR2 übernimmt, lebt davon und nutzt es oft zu erkenntnisstiftenden Exkursen. Einfacher gestrickt ist das kürzere „Kalenderblatt“, das Bayern 2 und Bremen 2 vom Deutschlandfunk übernehmen.

Erfüllung des Bildungsauftrags

Solche Erinnerungsmomente bieten planungstechnisch Vorteile, sie können aber im Programm zu einer gewissen Routine führen. Proust mit einem Hörspiel zu ehren, gehört nicht zu solchen Routinen. Manfred Hess, Chefdramaturg im SWR, hat mit Hermann Kretzschmar, der die musikalischen Miniaturen für den Zweiteiler komponierte, das Skript geschrieben, das sich eng an die Übersetzung von Bernd Fischer hält, die 2016 erschien. Ähnlich haben sie schon die Teilbände „Sodom und Gomorrha“ (2018) und „Die Gefangene“ (2020) in Hörspiele verwandelt und den Sprachfluss des Romans wie die Eigenheiten seiner Dialogführung angemessen übertragen. Man könnte es als die ideale Erfüllung des Bildungsauftrags bezeichnen, den Roman von Proust in Form eines Hörspiels einem Publikum nahezubringen, das sich bislang nicht an das Werk mit seinen über 4.000 Seiten traute. Es bleibt zu hoffen, dass das Duo Hess und Kretzschmar sich auch noch den letzten Band anverwandelt!

An Proust erinnerten auch Gesprächsrunden und kleine Porträts. Auf MDR Kultur gab es beispielsweise Lesungen aus seinem ersten Buch, dem Erzählungsband „Tage der Freuden“. Solche Präsentation von Literatur durch die reduzierte und zugleich konzentrierte Form der Lesung gehört zu den klassischen Errungenschaften der Kulturradios. Lesungen finden zu unterschiedlichen Zeiten statt, mal vormittags um 8.30 Uhr bei NDR Kultur oder um 11.10 Uhr bei RBB Kultur, mal nachmittags um 14.45 Uhr bei WDR3 oder um 15.30 Uhr bei SWR2, um nur vier Beispiele zu nennen.

Gelesen wurden Klassiker wie „Die Elixiere des Teufels“ von E.T.A. Hoffmann, der zu seinem 200. Todestag in diesem Jahr in den Kulturwellen mannigfach gewürdigt wurde, bei RBB Kultur, aktuelle Romane in Auszügen wie „Zur See“ von Dörte Hansen bei NDR Kultur oder Romane, die vor wenigen Jahren erschienen sind wie „Vielleicht Esther“ von Katja Petrowskaja (SWR2).

Ausgeweitete Veranstaltungshinweise

Allerdings täuscht der Eindruck von Vielfalt und Qualität bezogen auf das Gesamtprogramm dann doch. Vor allem die durchmagazinierten Angebote von Bremen 2, HR2 Kultur, NDR Kultur und SR2 ähneln sich im Tagesablauf bis zur Ununterscheidbarkeit. Die Sendungen heißen „Am Morgen“, „Am Vormittag“ und „Am Nachmittag“ (HR2) oder „Der Morgen“ und „Klassik bis Zwei“ (RBB Kultur) oder „Der Vormittag“ und „Der Nachmittag“ (SR2). Mit einer Überraschung wartet die Sendung „Der Nachmittag“ von Bayern Klassik auf, denn sie beginnt schon um 12 Uhr - vermutlich eine landschaftliche Besonderheit.

Diese mehrstündigen Magazine basieren auf einer Musikauswahl, zu der eine zwar große, aber doch endliche Zahl an kürzeren Stücken gehört. Vieles wird deshalb nur in Auszügen, also in einzelnen Sinfoniesätzen, Opernarien und ausgewählten Passagen präsentiert. Die Titel und die Interpreten werden ordentlich angesagt, gelegentlich auch zurückhaltend kommentiert. Aber die Moderatorinnen und Moderatoren, die mit netten Worten durch dieses standardisierte Musikangebot führen, klingen alle ähnlich. Sie wollen nicht auffallen und sagen die Beiträge, die zwischen den Musikstücken gesendet werden, mit mittlerem Interesse an.

In den Berichten dominieren in diesen Magazinen die kulturellen Ereignisse der jeweiligen Senderegion. Sie werden mal liebevoll, mal routiniert mit Originaltönen der Veranstalter und Organisatoren präsentiert. Es sind eher ausgeweitete Veranstaltungshinweise denn kritische Berichte im Sinne des klassischen Feuilletons. Hier waltet wie in anderen Radiowellen der Servicegedanke, die Künste werden tunlichst beworben.

Einen anderen Weg hat der WDR beschritten. Er hat mit vielen Kulturveranstaltern, Museen, Theater- und Opernhäusern sowie Ausstellungsbetrieben „Kulturpartnerschaften“ geschlossen, die diese dazu berechtigt, kurze, aber professionell produzierte Hinweise auf ihre Angebote vor den Hauptnachrichten ausstrahlen zu lassen. Es sind kostenfreie Werbespots für die Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen. Der Vorteil: Die Berichterstattung in „Mosaik“, dem morgendlichen Magazin auf WDR3, ist von den Pflichten der positiven Darstellung befreit, sie kann die Veranstaltungen, Ausstellungen und Festivals durchaus auch kritisch kommentieren.

Gemeinsam ist den Serviceberichten und Kulturspots, dass sie für einen Schulterschluss mit der Kultur in den jeweiligen Bundesländern sorgen. Wenn man so will, erarbeiten sich die Kulturprogramme so täglich die Legitimation für die eigene Existenz, denn das leisten weder die anderen öffentlich-rechtlichen Wellen noch die private Konkurrenz.

Prominente Moderatoren

Der Nachteil der mittleren Freundlichkeit und der zugewandten Kulturdarstellung: Die Magazine liefern kaum Gründe, dass man ihnen aufmerksam zuhört. Sie laufen nebenbei. Aber reicht das als Angebot in einer Zeit, in der das private Klassikradio einen noch kleineren Kanon an bekannten Musikstücken reißerisch rauf- und runterspielt, während die Algorithmen der kostenpflichtigen Streamingdienste versprechen, sie wüssten, was man zu hören wünscht?

Anders verhält es sich mit den werktäglichen Sendungen „Treffpunkt Klassik“ bei SWR2 (10.05-12.00 Uhr) und „Klassik Forum“ bei WDR 3 (9.05-12.00 Uhr). Hier werden in der Regel die Stücke ausgespielt, also beispielsweise alle drei Sätze einer Brahms- oder sogar Bruckner-Sinfonie. Hier sind auch Werke zu hören, die nicht zum engeren Klassikkanon gehören. Hier werden aber vor allem die Werke und ihre Interpretationen erläutert, kommentiert und in einen Zusammenhang gestellt, der musikgeschichtlicher, biografischer, aber auch gesellschaftlicher Art sein kann.

Das ist nicht unumstritten. Das „Klassik Forum“ verlor in den vergangenen Jahren einige markante Stimmen und Persönlichkeiten, die sich nicht so geschmeidig anstellen wollten, wie es die Senderhierarchie wollte. Aber noch hält sich der Substanzverlust in Grenzen. Auffallend ist aber der Trend, auf WDR3 Prominente als Moderatoren zu gewinnen. Nicht alle verstehen aber vom Metier so viel wie Götz Alsmann, der jeden Samstag zwischen 13 und 15 Uhr Soul und Jazz präsentiert, oder Daniel Hope, der sonntags zu selben Zeit zu bestimmten Themen Stücke der klassischen Musik zusammenstellt.

Eine Programmsorte, die viele Jahre das Radio prägte, war lange Zeit auf WDR3 verpönt, wurde dann aber in neuer Form wiederbelebt. Gemeint ist das klassische „Wunschkonzert“, bei dem sich Hörerinnen und Hörer Musiktitel wünschen können. Als sich das „Klassik Forum“ vor einigen Jahren aufschwang, nach den „Lieblingsstücken“ des Publikums zu fragen, war das ein so großer Erfolg, dass die Aktion sich zu einer eigenen Sendung bei WDR3 auswuchs. „Die “Lieblingsstücke" werden nun sonntags zwischen 9 und 12 Uhr ausgestrahlt. Mitunter sprechen die Moderatorinnen und Moderatoren mit denen, die sich diese Stücke wünschten, per Telefon. Da werden mal anregende, mal auch bewegende Geschichten erzählt, mal läuft die Kommunikation auch schwer an oder findet nicht so leicht ein Ende.

Livegespräche

Ähnliche Wunschprogramme finden sich in den meisten Kulturprogrammen. Ein weiteres klassisches Mittel der Hörerbindung ist ebenfalls weit verbreitet: Das musikalische Rätsel, bei dem die Hörer Titel raten müssen, die entweder nur angespielt oder stark verfremdet vorgestellt werden. Das gibt es als eigenständige Sendung, aber auch als Teil von Magazinen. Während manche Sender als Preis CD-Editionen der eigenen Klangkörper verlosen, verschenkt der WDR, bei dem das Rätsel Teil des „Klassik Forums“ am Freitag ist, knauserig eine Kaffeetasse mit Senderlogo.

Livegespräche mit Zuhörerinnen und Zuhörern, wie sie in den Wunschsendungen geführt werden, sind stets mit einer gewissen Spannung verbunden. Eine Spannung, die sich aber gelegentlich auf das Schönste auflöst. Als es auf Bayern 2 an einem Mittag um das Thema „Vorlesen“ für Kinder ging, rief eine Mutter an, die den Telefonapparat an ihre Tochter weiterreichte. Die Moderatorin, von der Redaktion informiert, stellte das Mädchen mit Namen vor und sagte, dass es vier Jahre alt sei. Souverän unterbrach das Kind die Moderatorin und korrigierte sie, sie sei viereinhalb. Die Moderatorin gestand ein, dass in dieser Lebensphase Altersangaben präzise sein müssen. Ein wunderbarer Dialog, der Leben in ein mitunter plüschiges Kulturprogramm brachte.

Lebendig sind auch meist die Gespräche, die auf SWR2 von Montag bis Donnerstag am frühen Abend zwischen 19 und 20 Uhr in der Sendung „Tandem“ geführt werden. Ein Studiogast, der auch die Musik auswählt, wird von einer Moderatorin, einem Moderator befragt. Die Fragen können sich auf die berufliche Arbeit beziehen, auf ein gerade erschienenes Buch, aber auch auf ein Lebenswerk. Nicht alle Gespräche sind gleichermaßen spannend und abwechslungsreich, aber der Ertrag ist in der Summe dennoch sehr hoch. Und das Beste: Man wird oft überrascht - von einer besonderen Stimme, einer verblüffenden Musikmischung, klug vorgetragenen Erkenntnissen und pointierten Meinungen.

Frauen reden über Dylan

Diese Stichprobe kann die Verluste, die die Kulturprogramme durch Sparmaßnahmen in den letzten Jahren erleiden mussten, nicht messen. Sie kann nur den augenblicklichen Stand festhalten. Aber es gibt auch Positives zu vermelden. So ist Klaus Walter, der viele Jahre im HR in der Sendung „Der Ball ist rund“ Popmusik jenseits des Mainstreams und Politisches zusammenbrachte, bis der Sender meinte, darauf verzichten zu können, seit einiger Zeit auf WDR3 montags um 23 Uhr mit „Ex & Pop“ zu hören.

Am 15. November reagierte Walter, der auch im privaten Internetradio ByteFM moderiert, mit der Sendung „Wenn Dylan nicht über Frauen redet, reden Frauen über Dylan“ auf die Tatsache, dass in dem gerade erschienenen Buch von Bob Dylan „Die Philosophie des modernen Songs“ gerade mal fünf Lieder erwähnt werden, die von Frauen eingespielt wurden. Die Sendung versammelte kluge Einlassungen von Frauen über Songs von Dylan - seien diese nun misogyn oder nicht.

Nachts schalten sich die Kulturprogramme schon seit einigen Jahren zusammen. Im Sommer geschieht dies für eine gewisse Zeit auch schon am Abend, wenn im „ARD-Radiofestival“ ab 20 Uhr Konzerte von den Musikfestivals übertragen werden. Wäre ein solches zusammengeschaltetes Programm - jenseits der Frage, ob es medienrechtlich durchgesetzt werden könnte - sinnvoll, wie Tom Buhrow andeutete?

Beim Durchhören gab es tatsächlich vieles, was so oder so ähnlich in vielen Programmen parallel zu hören war. Aber es gab mindestens so viel, womit sich einzelne Programme - hier seien vor allem Bayern 2, SWR2 und WDR3 genannt - als besonders, als individuell, als stark regional fundiert erwiesen. Käme es zu einem gemeinsamen ARD-Kulturradio, wäre eine Nivellierung auf niedrigem Niveau und ein dramatischer Verlust an Vielfalt zu befürchten.

Bleibt aber die Pflicht der Kulturprogramme, bei aller Eigenständigkeit und Individualität weiter zu kooperieren, Entdeckungen zu teilen, Höhepunkte zu übernehmen. Wichtig wäre es, den Reichtum des täglichen Angebots in der ARD-Audiothek stärker sichtbar zu machen. Dort rangieren die laufenden Programme deutlich hinter all dem, was heute Podcast heißt und zum Download angeboten wird. Das aktuelle Programm muss dort erst mühsam über die Sender gesucht werden. Warum gibt es keine ständig aktualisierte Übersicht, was in den Kulturprogrammen aktuell läuft? Verbunden mit der Möglichkeit, sich über einen Link in diese Programme hineinzuschalten?

Und: In der ARD-Audiothek sollte der Reichtum dessen, was in den Archiven der Rundfunkanstalten schlummert, besser präsentiert werden. Das, was Bastian Pastewka in „Kein Mucks!“ mit populären Hörspielkrimis der 1960er Jahre vormacht (epd 8/22), wäre mühelos auch auf andere Sparten zu übertragen: auf Hörspiel, Feature, Reportage und Gespräch. Man muss es nur wollen.

Aus epd medien 47/22 vom 25. November 2022

Dietrich Leder