epd In der Rundfunkkommission der Länder drohte sich Ungeduld breitzumachen, als die ARD das Gremium Mitte Oktober über den Stand bei der Erarbeitung ihrer Maßnahmen zu Compliance informierte. Was der Senderverbund hierzu in den dem epd vorliegenden schriftlichen Erläuterungen für die Kommission zusammentrug, entsprach nicht viel mehr als einer Wiederholung der Ankündigung vom Sommer, gemeinsame ARD-Compliance-Standards für alle Häuser, Tochterunternehmen und Gemeinschaftseinrichtungen zu verabschieden (epd 33/22).
Und so bemerkte der Chef der Staatskanzlei Schleswig-Holstein, Dirk Schrödter (CDU), in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ kritisch, er hätte sich gewünscht, dass die ARD-Intendanten ihre Vorhaben bei dem Treffen mit der Rundfunkkommission bereits genauer formuliert hätten. „Ich glaube, man hätte seit August etwas weiter sein können, und ich hätte mir gewünscht, dass die Schlussfolgerungen und Veränderungen konkreter benannt werden.“ Er gehe davon aus, dass die Pläne im Verlauf des Novembers konkretisiert werden, sagte Schrödter und fügte hinzu: „Das Signal der Länder an die Anstalten wurde verstanden.“
Dass sie die Compliance-Standards in ihrer Sitzung Ende November final beschließen, hatten die Intendantinnen und Intendanten der Rundfunkkommission indes anlässlich des Treffens im Oktober längst in Aussicht gestellt. Am 24. November vermeldete der Senderverbund die Verabschiedung des angekündigten Dokuments schließlich in einer knappen Pressemitteilung (epd 48/22).
„Nicht zur Veröffentlichung gedacht“
Auf die Veröffentlichung des 15-seitigen Papiers verzichtete die ARD allerdings zunächst. Der „Compliance-Leitfaden“ stelle „eine Grundlage dar, auf der die Landesrundfunkanstalten ihre jeweiligen Compliance-Managements überprüfen und gegebenenfalls anpassen“, erklärte eine Sprecherin auf epd-Nachfrage. Es sei vorgesehen, dass Teile der senderspezifischen Regelungen, etwa Verhaltenskodexe, veröffentlicht werden. „Der Leitfaden selbst ist nicht zur Veröffentlichung gedacht.“
Die Kehrtwende folgte prompt am nächsten Tag, nachdem unter anderem der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) scharfe Kritik an der Geheimhaltung des Dokuments geübt hatte. Die Intendantinnen und Intendanten hätten „offenbar nicht verstanden, dass die Öffentlichkeit nach den bekannt gewordenen Verstößen einiger Spitzenkräfte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein berechtigtes Interesse daran hat, wie die Anstalten und ihre Repräsentanten künftig ihren Aufgaben gerecht werden wollen“, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall.
Die ARD erklärte postwendend, das Papier werde nun doch „interessierten Medien zugänglich gemacht“, da das Interesse daran groß sei. Auf der Internetseite ard.de stellte man den Leitfaden sogleich der allgemeinen Öffentlichkeit zur Lektüre bereit (unter http://u.epd.de/2f2n abrufbar). Die kommunikative Ungeschicklichkeit im Umgang mit dem Dokument entbehrt nicht einer gewissen Komik, widerspricht sie doch der in dem Papier selbstverständlich geforderten Transparenz als Wesensmerkmal von Compliance: „Wir sind gegenüber unseren Mitarbeitenden und der Öffentlichkeit transparent und dokumentieren unser Verhalten entsprechend“, heißt es dort zu den Kernanliegen des Compliance-Management-Systems (CMS).
IDW PS 980
Was die ARD-Juristen in dem nun für jeden zugänglichen Leitfaden zusammengetragen haben, rekurriert bis ins Detail auf den Prüfungsstandard 980 des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland, kurz IDW PS 980, und entspricht in seiner inhaltlichen Essenz der ARD-weiten Übereinkunft, sich an diesem Standard zu orientieren. Die sieben Kapitel des Leitfadens gliedern das Dokument in die sieben Grundelemente eines CMS nach diesem Prüfungsstandard: Compliance-Kultur, Compliance-Ziele, Compliance-Risiken, Compliance-Programm, Compliance-Organisation, Compliance-Kommunikation sowie Compliance-Überwachung und -Verbesserung. Der Leitfaden fasst so die allgemein anerkannten Vorgaben für zeitgemäße Compliance zusammen und leitet hieraus allgemein gehaltene Standards für die ARD ab. Diese umfassen unter anderem Führungsgrundsätze, einen Verhaltenskodex und eine Analyse der Risiken für Regelverstöße.
Manches klingt abstrakt, vieles unkonkret, und dennoch: Wer den Compliance-Leitfaden vornehmlich als Beruhigung der Öffentlichkeit nach dem Wirbel um den RBB-Skandal verstehen will, tut der ARD unrecht (epd 32, 33-37, 40, 42/22).
„Der Leitfaden formuliert ein Zielbild, in dem Mindeststandards festgelegt sind, über die die Sender natürlich noch hinausgehen können - und teils tun - und die zum Teil auch schon in einigen Häusern umgesetzt sind“, betonte eine ARD-Sprecherin. Dahinter steht eine Erkenntnis, die der damalige ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust bereits 2009 im Zuge der Affäre um die frühere NDR-Fernsehspielchefin Doris Heinze formuliert hatte: Die Regeln zur Betrugs- und Korruptionsbekämpfung seien in der ARD „naturgemäß unterschiedlich“, weil der Senderverbund aus „mehreren autonomen Anstalten“ bestehe, so Boudgoust damals. Eine einheitliche Regelung sei deshalb nicht möglich (epd 70/09).
MDR als Benchmark
Als Benchmark für ein ausgereiftes Compliance-System in der ARD wird häufig der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) genannt, der nach leidvollen Erfahrungen wie dem Fall Udo Foht oder dem KiKa-Skandal in den vergangenen Jahren hier bereits seine Hausaufgaben gemacht hat. Doch in der ARD entschied man sich offenkundig ganz bewusst dafür, das „Modell MDR“ als „Best Practice“ nicht eins zu eins auf alle Anstalten zu übertragen.
Rechtsanwalt Reinhold Kopp, der von 1995 bis 2000 Vorsitzender des Verwaltungsrates des Saarländischen Rundfunks (SR) war, betont in diesem Zusammenhang: „Die Vereinheitlichung von Compliance-Regelungen innerhalb der ARD ist kein Wert an sich, rechtlich nicht geboten und bietet auf den ersten Blick auch keinen Mehrwert.“ Die ARD sei schließlich kein Konzern, sondern eine Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Anstalten des öffentlichen Rechts von unterschiedlicher Größe und Struktur sowie mit eigenständigen Verantwortlichkeiten, sagte Kopp im Gespräch mit dem epd.
Für den Juristen steht fest, dass eine effektive Compliance-Organisation immer auf die spezifische Situation in der jeweiligen Körperschaft und ihrem Betrieb ausgerichtet sein muss. Daher sei es notwendig, eine individuelle Analyse der Risiken vorzunehmen und entsprechende Institutionen und Verfahren zu installieren. Der vorgelegte Leitfaden, der genau diesen Weg vorgibt, kommt für Kopp spät, sei aber der richtige erste Schritt. „Als allgemeiner Masterplan ist er nicht zu beanstanden“, resümiert der Rechtsanwalt. Nun komme es auf die Umsetzung in den einzelnen Häusern an.
Karl-Eberhard Hain, Direktor des Instituts für Medienrecht und Kommunikationsrecht an der Universität Köln, sieht das ähnlich. Dass die ARD mit dem Leitfaden zunächst ein Mindestregelungsniveau für Compliance einzieht, hält auch er für unproblematisch. Den Sendern bleibe es unbenommen, in Ausübung ihrer Selbstverwaltungsrechte strengere Standards festzulegen, sagte er dem epd. Die Länder müssten sich mit der Regelung von Compliance-Anforderungen zurückhalten.
Diskussionspapier der Länder
Mit dem Zwischenergebnis zeigte sich die Koordinatorin der Rundfunkkommission, die rheinland-pfälzische Staatssekretärin Heike Raab (SPD), nach der Verabschiedung des Compliance-Leitfadens zunächst zufrieden. Die Kommission habe die öffentlich-rechtlichen Anstalten „sehr deutlich aufgefordert, für mehr Transparenz und Compliance zu sorgen und konkrete Schritte einzuleiten“, sagte sie dem epd. Nur so könne verlorenes Vertrauen zurückgewonnen werden. Das Engagement der Gremienvorsitzendenkonferenz zur Verbesserung der Aufsicht und den ARD-Leitfaden zu gemeinsamen Compliance-Standards bewerteten die Länder „sehr positiv“, so Raab. Parallel prüften die Länder allerdings weiterhin, ob auch der rechtliche Rahmen angepasst werden muss.
Unter dem Vorsitz von Baden-Württemberg konstituierte sich dazu im Herbst die AG Compliance der Rundfunkkommission. Sie erarbeitete ein Diskussionspapier zu Compliance-Überlegungen für den Medienstaatsvertrag, das dem epd vorliegt. Die AG schlägt darin vor, den bestehenden Paragrafen 31 mit dem Titel „Satzungen, Richtlinien, Berichtspflichten“ um Unterparagrafen zu Transparenz, Compliance, Gremienaufsicht und Interessenkollision zu ergänzen.
Konkret könnte demnach künftig gesetzgeberisch vorgeschrieben werden, dass die ARD-Anstalten, das ZDF und das Deutschlandradio „jeweils ein wirksames Compliance-Management-System nach anerkannten Standards zu gewährleisten und nach dem aktuellen Stand fortzuschreiben“ haben. Zudem müssten eine „in Ausübung des Amtes unabhängige Compliance-Stelle oder ein Compliance-Beauftragter“ eingesetzt werden, die regelmäßig an die Intendantinnen und Intendanten sowie an den Verwaltungsrat berichten. Geregelt wäre ferner, dass sich die Compliance-Stellen und -Beauftragten untereinander austauschen.
„Größtmögliche Transparenz“
Nach den Überlegungen der Länder-AG soll auch eine Ombudsperson als externe Anlaufstelle für vertrauliche und anonyme Hinweise zu Rechts- und Regelverstößen in den jeweiligen Rundfunkanstalten gesetzlich vorgeschrieben werden. „Die Ombudsperson soll die Befähigung zum Richteramt besitzen und darf keine wirtschaftlichen oder sonstigen Interessen haben, die geeignet sind, die neutrale und unabhängige Vertrauensstellung zu gefährden“, heißt es dazu in dem Diskussionspapier.
Der vorgeschlagene Unterparagraf zu „Transparenz“ verpflichtet die Anstalten dazu, diese in „größtmöglichem“ Maße gegenüber der Öffentlichkeit herzustellen. Die Gehälter der Intendantin oder des Intendanten und der Direktorinnen und Direktoren müssten zudem künftig unter Namensnennung in einem Geschäftsbericht sowie auf der Internetpräsenz der jeweiligen Anstalt veröffentlicht werden. „Teil dieser Bezüge sind namentlich Aufwandsentschädigungen, Sitzungsgelder und sonstige geldwerte Vorteile.“
Zur „Gremienaufsicht“ könnte es nach den Vorstellungen der AG künftig im Medienstaatsvertrag heißen, die Gremien müssten „personell und strukturell in der Lage sein, die ihnen jeweils zugewiesenen Aufgaben umfassend zu erfüllen“. Hierzu schlägt die AG verschiedene Vorgaben im Hinblick auf die Qualifikation der Gremienmitglieder und die Ausstattung der Geschäftsstellen vor.
„Instrumentenkasten“
Mit Blick auf das Thema „Interessenkollision“ regt die AG einen Unterparagrafen an, der vorschreibt, dass Mitglieder eines Aufsichtsgremiums keine wirtschaftlichen oder sonstigen Interessen haben dürfen, „die geeignet sind, die Erfüllung ihrer Aufgaben als Mitglieder zu gefährden“. Hierzu werden auch eine Reihe konkreter Tätigkeiten aufgelistet, die Gremienmitgliedern verboten sind. So dürfen sie dem Vorschlag zufolge unter anderem nicht für private Rundfunkveranstalter oder die Landesmedienanstalten tätig sein.
Nach aktuellem Stand ist nicht vorgesehen, dass die Überlegungen der AG Compliance bereits in den dritten Medienänderungsstaatsvertrag einfließen, der aktuell zur Ratifizierung bei den Landtagen liegt und am 1. Juli 2023 in Kraft treten soll. Die neuen Vorschläge waren aber bereits Gegenstand von Beratungen der Rundfunkkommission am 7. Dezember (Ergebnisse bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht bekannt). Im Gespräch ist die Umsetzung in einem vierten Medienänderungsstaatsvertrag. Unabhängig davon sind die ARD-Anstalten gut beraten, zügig voranzugehen: Compliance beschränkt sich nicht auf die Umsetzung entsprechender Prüfstandards, sondern muss Teil der gelebten Unternehmenskultur werden.
„Es wäre ein Irrtum zu glauben, die grundlegenden Probleme der ARD wären mit einer lediglich verbesserten Compliance zu lösen. Die ist nur ein 'Instrumentenkasten', dessen Qualität ganz entscheidend von einer guten Governance und einem aktiven Wertemanagement im Unternehmen abhängt“, unterstreicht der Jurist Kopp. Für eine ethisch einwandfreie Unternehmensführung bietet das Diskussionspapier der Länder-AG Compliance durchaus Anregungen: Zu den Überlegungen, die darin „aufgrund hoher Komplexität“ zurückgestellt wurden, gehört eine Abführungspflicht für Nebeneinkünfte der Direktoren und Intendanten.
Aus epd medien 49/22 vom 9. Dezember 2022