Für die Studie „Journalistische Grenzgänger - Wie die Reportage-Formate von Funk Wirklichkeit konstruieren“ hat der Kommunikationswissenschaftler Janis Brinkmann im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung mehr als 1.000 Reportagen von fünf Formaten des Online-Jugendangebots Funk von ARD und ZDF analysiert (epd 22/23). In diesem Beitrag, der auf seiner Studie basiert, führt Brinkmann aus, dass die subjektive Herangehensweise vieler Funk-Beiträge durchaus eine Bereicherung für den vermeintlich objektiven Informations-Journalismus sein kann. Die Rezeption in den sozialen Netzwerken zeige, dass sich das junge Publikum davon angesprochen fühle. Allerdings ist das thematische Spektrum der Reportagen seiner Analyse nach eher auf lebensweltliche als auf politische Themen fokussiert. Brinkmann ist Professor für Publizistik in der digitalen Informationswirtschaft an der Fakultät Medien der Hochschule Mittweida. Die Ende Mai veröffentlichte Studie kann unter http://u.epd.de/2mcu bei der Otto-Brenner-Stiftung heruntergeladen werden.
epd Ein Reporter betrinkt sich vor laufender Kamera, um an sich selbst zu testen, wie Alkohol wirkt. Eine Reporterin verkauft ihre getragenen Socken online. Ein anderer Reporter löscht Kinderpornos aus dem Netz und eine weitere Reporterin jagt Männer, die auf Festivals Frauen mit kleinen Kameras auf Toiletten bespannen. Die Liste von Beispielen aus Reportagen, die auf aktive Reporterinnen und Reporter und deren Haltungen, Gefühle und persönliche Perspektiven setzen, ist lang beim Jugendangebot Funk von ARD und ZDF. Seit 2016 ist die Zahl der sogenannten Presenter-Formate für junge Zielgruppen zwischen 14 und 29 Jahren in dem Content-Netzwerk kontinuierlich gewachsen. Der Ausstoß an Reportagen mit Titeln wie „Alkohol - Besoffen am Ballermann, verkatert zur Suchtberatung“ („Y-Kollektiv“), „Fetisch Selbstversuch: Cash für getragene Unterwäsche?“ („Reporter“), „Pädokriminelle Foren: Warum löscht niemand die Aufnahmen?“ oder „Spannervideos: Wer filmt Frauen auf Toiletten?“ (beide „STRG_F“) ist entsprechend hoch.
Auch wenn die Reportage-Formate „STRG_F“, „Y-Kollektiv“, „Reporter“, „Follow.me Reports“ oder „Die Frage“ vielen älteren Mediennutzern nichts sagen werden, knacken sie in den jungen Zielgruppen der Generationen X, Y und Z auf Youtube mühelos die Marke von mehr als fünf, manchmal bis zu sechs Millionen Aufrufen. Kanäle wie „STRG_F“ oder „Y-Kollektiv“ haben Journalistenpreise gewonnen und werden inzwischen von mehr als einer Million Nutzerinnen und Nutzern abonniert.
Angriff oder Verteidigung?
Eine solche Reichweite, von der etablierte öffentlich-rechtliche Magazinsendungen in sozialen Netzwerken oft träumen, steht aber in einem frappierenden Missverhältnis zur Aufmerksamkeit, die den Formaten in der medienjournalistischen Berichterstattung und auch in der Journalismusforschung lange entgegengebracht wurde. Für die Studie „Journalistische Grenzgänger - Wie die Reportage-Formate von Funk Wirklichkeit konstruieren“, die die Otto-Brenner-Stiftung Ende Mai veröffentlichte, habe ich diese Presenter-Reportagen genauer untersucht.
Das Thema rückte damit auch in den Fokus medialer Aufmerksamkeit - unter anderem kam es zu einem Streitgespräch über die Relevanz der Ergebnisse zwischen NDR-Redakteurin Anja Reschke, WDR-Redakteur Georg Restle, Thilo Jung („Jung und naiv“) sowie ARD-Programmdirektorin Christine Strobl auf der Re:publica. Viele Zeitungen und öffentlich-rechtliche Medienmagazine berichteten über die Studie, ihre Ergebnisse und deren Aussagekraft für den Journalismus der betreffenden Formate von Funk wurde breit diskutiert. Dazu gehört auch, dass viele Medienjournalisten die Interpretation der Resultate mit einem eigenen Spin versahen - offenbar je nach persönlicher Einstellung zu subjektiven Formen des Journalismus (die von „pfui“ bis „cool“ reichen) oder ihrer Haltung (beziehungsweise der der jeweiligen Medienhäuser) zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, bei dem das medienjournalistische Meinungsspektrum ähnlich gelagert zu sein scheint. So wurde die Studie wahlweise als „Verteidigung“ der Formate gewertet oder als „Angriff“ oder „Rüge“.
Die intendierte konstruktive Kritik kam offenbar auch bei der Funk-Programmdirektion in Mainz nicht so richtig an, wo man sich wohl auf den Schlips getreten fühlte, weil sich ein Wissenschaftler mit Teilen ihres Programms beschäftigte. Dass das öffentlich-rechtliche Content-Netzwerk und einige seiner journalistischen Flaggschiffe hochrelevante Forschungsgegenstände der Journalistik sind, die durch die Studie eher ins Rampenlicht als ins Fadenkreuz geraten, sickert erst langsam in die Debatte ein.
Die Studie wertet 1.155 Videos aus, die zwischen 2016 und April 2022 auf den Youtube-Kanälen „Y-Kollektiv“, „STRG_F“, „Reporter“, „Follow me.Reports“ und „Die Frage“ veröffentlicht wurden. Die Ergebnisse weisen recht eindeutig in eine Richtung: Während erzählerische Tiefe und authentische Subjektivität manche der Formate als Qualitätsjournalismus eines neuen Typs ausweisen und aus dem radikal subjektiven New Journalism entlehnte Charakteristika unter den Bedingungen von Social Media für junge Zielgruppen kreativ interpretieren, sind die Themen der Reportagen thematisch und geografisch teilweise unausgewogen. Sie weisen erstaunlicherweise ähnliche blinde Flecken auf wie traditionelle Medienangebote. Die Formate bieten also sowohl Anlass, um für ihre explizite Subjektivität entweder als authentisch gefeiert oder als einseitig getadelt zu werden - je nach Perspektive und, nun ja, Haltung der Kritiker. Die folgenden drei Beispiele, die sich auch in der Studie finden, illustrieren dieses Spannungsfeld:
Persönliche Gefühle
Anschaulich wird der sehr subjektive Zugang der Reportagen in der persönlichen „Mini-Geschichte“ zum Einstieg des „Reporter-Beitrags“ „Ich benutze keine Tampons“, in dem Reporterin Svenja Kellersohn in das journalistische „Selbstexperiment Free Bleeding“ vor der Kamera einführt: „Immer wenn ich unterwegs bin und plötzlich meine Tage bekomme, hab ich meist so einen kleinen Panic-Moment, weil ich mich dann frage: 'Hab‘ ich Tampons dabei (…)? Das sind übrigens alles Dinge, die Personen, die 'Free Bleeding' praktizieren, gar nicht brauchen. Beim Free Bleeding wird nämlich auf Binden, Tassen, Tampons verzichtet. (…) Fragt ihr euch: Warum machen die das eigentlich? Einige erzählen, dass sie Free Bleeding praktizieren, weil sie so ihre Menstruationsschmerzen verringern können. Andere haben dadurch ein besseres Körpergefühl. Wieder andere praktizieren Free Bleeding, weil sie dadurch Müll reduzieren können. Ich will herausfinden, ob das bei mir auch funktioniert und ob das überhaupt alltagstauglich ist.“
Auch Reporterin „Klein aber Hannah“ führt in den „Follow me.Reports“-Beitrag „Angst vor Obdachlosen? Hanna in der Obdachlosenhilfe“ mit ihren persönlichen Gefühlen und Empfindungen zum Thema ein: „Heute geht's bei 'Follow me.Reports' um das Thema Obdachlosigkeit. Vielleicht könnt ihr's sehen, ich frier schon richtig doll. Es wird langsam Winter. Und leider haben nicht alle von uns ein warmes Zuhause. Ich merk das auf dem Weg zur Arbeit, ich seh überall Obdachlose. In der U-Bahn, auf der Straße. Ich muss ehrlich sagen, ich hab Berührungsängste. Ich geb manchmal Geld, aber ich hab das Gefühl, ich könnte noch mehr tun, aber ich weiß nicht, was. Dieser Frage geh ich heute auf den Grund: Was kann ich beziehungsweise was können wir tun, um diesen Menschen in Not besser zu helfen?“
Wie persönlich die Reporter auch vermeintliche „Tabus“ thematisieren, um, wie „Y-Kollektiv“-Reporter David Donschen beim Thema „Erektionsstörungen bei jungen Männern“ eine gesellschaftliche „Stigmatisierung“ zu vermeiden, unterstreicht der folgende Einstieg im On-Presenting: „Erkennt ihr? Klein und blau. Das ist eine Potenzpille. Und die besitze ich, weil ich ab und zu Erektionsstörungen habe. Bei mir ist das kein körperliches Problem, sondern eine reine Kopfsache. Bei mir funktioniert es unten immer dann nicht, wenn ich krass Druck verspüre oder auch Stress habe. Warum erzähl ich das ausgerechnet hier auf Youtube? Ich will mit dem Stigma brechen. Ich weiß, dass es nicht nur mir so geht, sondern vielen jungen Männern. Die kriegen nämlich auch keinen hoch, weil da oben in der Birne irgendwas blockiert.“
Kleiner Ausschnitt
Welcher der subjektiven Zugänge journalstisch opportun oder legitim ist und welcher nicht, kann und soll die Studie nicht klären. Wie die Formate Journalismus praktizieren und was sie leisten, wird gegenwärtig in einer Folgestudie erforscht. Die Studie will vielmehr zunächst anhand von quantitativ auszuwertenden Kategorien darauf schließen, wie die untersuchten Funk-Reportagen soziale Wirklichkeit konstruieren. Dieser Begriff klingt möglicherweise anrüchiger, als er manchmal in der Journalistik wahrgenommen wird: Journalistinnen konstruieren durch ihre Arbeit und deren Produkte ständig (und oft unbewusst und nicht intendiert) Realität. Sie stellen eine Version der Wirklichkeit dar, anstatt diese abzubilden. Eine konstruktivistisch geprägte Journalistik, die in Deutschland in den 90er Jahren unter anderem Klaus Merten, Siegfried J. Schmidt und Siegfried Weischenberg prägten und von Bernhard Pörksen handlungstheoretisch weiterentwickelt wurde, versteht journalistische Konstruktion von Wirklichkeit - anders als etwa Inszenierung oder gar Manipulation - nicht als per se verwerflich.
Die untersuchten Presenter-Formate der Funk-Kategorien „Information“ und „Reportage“ bilden nur einen kleinen Ausschnitt des sehr viel reichhaltigeren Angebots von Funk. Die Kernergebnisse der Studie sagen daher nur wenig über das Gesamtangebot aus. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Themen: Der thematische Schwerpunkt der Funk-Reportagen liegt formatübergreifend weniger auf gesellschaftlichen Themen wie Politik oder Wirtschaft (26,8 Prozent) als vielmehr auf Lebensweltthemen (52,2 Prozent) mit einer hohen Bedeutung für die junge Zielgruppe (zum Beispiel Sexualität, Drogen, Gesundheit/Krankheit und insbesondere Jobs/Berufe). Insgesamt ist das Themenspektrum aber breit ausdifferenziert.
Thematisierung: Als Strategien der Zielgruppenansprache bedienen sich die Reportagen ganz überwiegend (zu 90,6 Prozent) einer gefühlsorientierten Thematisierung, deutlich seltener einer skandalorientierten (nur 5,9 Prozent).
Berichterstattungsmuster: Zu dieser emotional-erzählerischen Ansprache passt auch, dass eine aktualisierte Form des subjektiven New Journalism als Berichterstattungsmuster klar dominiert (79 Prozent), während klassisch narrative (8,6 Prozent) und investigative Muster (5,1 Prozent), die beide auch für den New Journalism charakteristisch sind, deutlich seltener allein auftreten und andere journalistische Konzepte quasi nicht vorkommen.
Darstellungsformen: Wie aufgrund der Auswahl der Reporter-Formate als Untersuchungsgegenstände zu erwarten, ist die Reportage die dominante Darstellungsform (79,6 Prozent), sie wird aber durch Elemente des Interviews vielfach zu einem narrativ-dialogischen Hybrid ausgeformt. Sehr häufig sind Personenporträts, Milieu- und Rollenspiel-Reportagen wie Selbstversuche. In 95,7 Prozent der untersuchten Reportagen äußern die Reporter und Reporterinnen ihre Meinung vor der Kamera.
Quellen und Akteure: Eine breite Auswahl verschiedener Quellen ist in den Reportagen selbst nicht erkennbar: Stattdessen sind in vier von fünf Beiträgen der untersuchten Funk-Formate (80,3 Prozent) entweder Protagonist:innen oder Reporter:innen die zentralen Informationsquellen. Andere Quellen, insbesondere non-personale Quellen wie Dokumente, werden dagegen deutlich seltener sichtbar in die Reportagen eingebunden, regelmäßig aber unter den Videos verlinkt. Reporter und Protagonisten dominieren nicht nur als Informationsquellen, sondern sind auch die hauptsächlich handelnden Akteure in den Filmen, während Expertinnen, Vertreter des Staates oder der Zivilgesellschaft deutlich seltener als Handelnde auftreten.
Länder und Orte: Deutschland ist mit 85,9 Prozent eindeutig das zentrale Ereignisland. Über Themen mit Auslandsbezug berichten nennenswert nur „Y-Kollektiv“ (28,1 Prozent) und „STRG_F“ (24,9 Prozent). Während ein Drittel aller Beiträge bundesweit spielt, dominieren die jeweiligen Produktionssitze der untersuchten Funk-Formate die gewählten Orte der Berichterstattung: Berlin, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bayern kommen deutlich häufiger vor als die ostdeutschen Bundesländer. Die meisten Themen sind zudem in westdeutschen Großstädten angesiedelt, kleine und mittlere Städte sowie Dörfer sind dagegen nur in rund elf Prozent der untersuchten Beiträge Orte des Geschehens.
Ereignisbewertung: Anders als aufgrund der publizistischen Mechanismen sozialer Medien zur Gewinnung von Aufmerksamkeit zu erwarten, wird die prozentuale Mehrheit der behandelten Themen/Ereignisse nicht negativ (38,3 Prozent), sondern neutral bewertet (45,5 Prozent). Auffällig sind die Unterschiede zwischen den Formaten: Die investigativen „STRG_F“- und „Y-Kollektiv“-Beiträge zeigen eine absolute Mehrheit negativer Beiträge, während beispielsweise bei „Follow me.Reports“ jeder dritte Beitrag sein Thema positiv rahmt und „Die Frage“ mit 83,3 Prozent in vier von fünf Beiträgen eine neutrale beziehungsweise ausgeglichene Perspektive wählt.
Tendenz: In mehr als 97 Prozent aller Beiträge ist eine subjektive Tendenz (oft durch die Reporter:innen) erkennbar, eine objektive Thematisierung wurde kaum vorgenommen (in weniger als drei Prozent der Beiträge), was auf eine insgesamt radikal subjektive Perspektive deutet.
Qualität: Formatübergreifend sind insbesondere Authentizität (90,6 Prozent), Partizipativität (82,9 Prozent), Emotionalität und Exklusivität (beide 78,1 Prozent) sowie Narrativität (69,5 Prozent) stark ausgeprägt. Damit werden eher unterhaltende, erzählende und gefühlsorientierte Kriterien erfüllt. Transparenz, Nutzwert und Reflexivität sind hingegen in der Mehrheit der Beiträge nicht gegeben, auch Ansprüche an Relevanz und Vielfalt können in einem maßgeblichen Teil der Beiträge (in jedem vierten beziehungsweise jedem dritten Beitrag) nicht eingelöst werden.
Die journalistische Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit erfolgt in den Reportagen der untersuchten Funk-Formate also überwiegend über Lebensweltthemen, die gefühlsorientiert an die jungen Zielgruppen vermittelt werden. Durch Interviews hybridisierte Reportagen, die sich vor allem Personen, sozialen Milieus und journalistischen Selbstversuchen widmen, nutzen die Konstellation aus Reportern und Protagonistinnen, um Geschichten, die mehrheitlich in deutschen Großstädten spielen, aus einer stark subjektiven Perspektive zu erzählen.
Der New Journalism prägt als dominantes Berichterstattungsmuster die Wirklichkeitskonstruktion der Reportage-Formate von Funk, er wurde unter den Bedingungen von Social Media jedoch für die junge Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen aktualisiert und für Web-Video-Formate modifiziert, zum Beispiel über die aktive Rolle von Reportern im On oder Aufrufe an das Publikum zur Kommentierung der Inhalte am Ende eines Beitrags.
Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass man die Presenter-Formate bei Funk differenziert betrachten muss. Sie verfügen weder über vergleichbare Ressourcen und redaktionelle Strukturen noch richten sie sich an identische Zielgruppen: „STRG_F“ ist eher für ein älteres Publikum gedacht, „Follow me.Reports“ eher für jüngere Nutzer.
Protagonistengetriebene Formate
Innerhalb der Funk-Presenter-Formate kristallisieren sich zwei Formen von Social-Web-Presenter-Reportagen heraus: Reporter-getriebene Formate wie „Y-Kollektiv“ und „STRG_F“ setzen eher auf sogenannte harte Gesellschaftsthemen, gehen manchmal investigativ vor, erkunden Milieus und berichten über politische Ereignisse. Sie stellen Auslandsbezüge her, die Reporter stehen als zentrale Akteure und Informationsquellen im Mittelpunkt der Filme. Sie sind daher von der Subjektivität der Autoren geprägt.
Protagonistengetriebene Formate wie „Follow me.Reports“ und „Die Frage“ thematisieren konsequenter Lebenswelt- und Zielgruppenthemen, porträtieren Menschen und deren Einzelschicksale fast ausschließlich in Deutschland und zeigen häufiger journalistische Selbstversuche. Ihre zentralen Akteure und Informationsquellen sind Protagonisten, die von den Hosts in Hybrid-Formaten aus Interview und Reportage zu ihren emotionalen Geschichten befragt und begleitet werden. Die von diesen Formaten abgebildete Realität wird daher eher durch eine Quellen- oder Protagonisten-Subjektivität konstruiert. Mit Abstrichen fällt auch das Format „Reporter“ in diese Kategorie, da es in den zentralen Merkmalen eine größere Nähe zu „Follow me.reports“ und „Die Frage“ aufweist.
Innovative Nischenangebote
Die mediale wie wissenschaftliche Diskussion über solche Formate des subjektiven Journalismus wird bisher überwiegend polarisiert geführt: Auf der einen Seite stehen die, die beißend kritisieren, die Presenter-Reportagen verstießen eklatant gegen journalistische Objektivitätsideale, sie seien eine Verschwendung von Beitragsgeld und würden dem öffentlich-rechtlichen Informationsauftrag nicht entsprechen. Auf der anderen Seite steht eine unkritische Rezeption, die in den Formaten die einzige Möglichkeit sieht, junge Zielgruppen für öffentlich-rechtlichen Content zu gewinnen. Argumentiert wird häufig, dieser Zweck rechtfertige die Machart und die Abhängigkeit von US-amerikanischen Großkonzernen als Distributoren in jedem Fall.
Doch im Sinne einer Weiterentwicklung der Formate und des Journalismus insgesamt wäre eine dritte Sichtweise hilfreich: „STRG_F“, „Y-Kollektiv“ und andere Formate dieser Art sind innovative Nischenangebote für junge Menschen. Sie ergänzen den vermeintlich objektiven Informations- und Nachrichtenjournalismus erzählerisch und emotional. Sie dürfen, ja müssen sich weiterentwickeln, wachsen und über die Stränge schlagen. Wie ihr Publikum sind sie im besten Sinn jung. Sie dürfen, ja müssen sich journalistisch weiterentwickeln, wachsen und über die Stränge schlagen.
Aus epd medien 24/23 vom 16. Juni 2023