Anfang Februar hat der Vorstandsvorsitzende von Bertelsmann, Thomas Rabe, in Hamburg angekündigt, dass der Konzern zahlreiche Zeitschriften des ehemaligen Verlagshauses Gruner + Jahr (G+J) einstellen und mindestens 500 Stellen abbauen will (epd 6/23 und Meldung in dieser Ausgabe). Rabe hatte nach der Fusion von RTL Deutschland mit G+J im August 2022 auch den Vorsitz der Geschäftsführung von RTL Deutschland übernommen (epd 33-34/22). Unser Autor René Martens fragt: Wie passt der Stellenabbau mit den Jubelmeldungen von Bertelsmann zu Gewinnen und Umsätzen in Rekordhöhe zusammen? In Hamburg werfen die Mitarbeiter von G+J Rabe vor, dass er die Digitalisierung des Zeitschriftengeschäfts verschleppt habe.
epd Manche Mitarbeiter und Aktionäre der Bertelsmann SE & Co. KGaA und andere Personen, die sich dem Mischkonzern verbunden fühlen, werden zumindest drei Sätze, die der Vorstandsvorsitzende Thomas Rabe gerade in einem Interview mit dem „Spiegel“ formuliert hat, zufrieden zur Kenntnis genommen haben: „Wir haben 2022 erstmals die Umsatzmarke von 20 Milliarden Euro überschritten, wir haben 15 Milliarden Euro Eigenkapital, so viel wie nie. Wir haben mehr Mittel denn je für Investitionen. Bertelsmann steht also extrem gut da“, sagte der Manager in der am 11. Februar erschienenen Ausgabe des Magazins.
Für jene, die das Geschehen bei Bertelsmann regelmäßig verfolgen, kamen die euphorischen Worte aus Rabes Mund nicht überraschend. Im November 2022 hatte der Konzern einen Umsatz von 14,4 Milliarden Euro für die ersten neun Monate des abgelaufenen Jahres 2022 bekanntgegeben (epd 45/22). Das sei „der bisher höchste Konzernumsatz nach neun Monaten eines Jahres“, frohlockte Rabe damals.
„Verhäckseln und verscherbeln“
Und man muss Bertelsmann nicht einmal nahestehen, um es auf einer übergeordneten Ebene erfreulich zu finden, dass ein Konzern, der sein Geld unter anderem mit Kultur- und Medienprodukten verdient, so viel Umsatz macht wie nie zuvor.
Alles andere als „extrem gut“, um die Worte des Bertelsmann-Vorstandschefs aufzugreifen, geht es derzeit allerdings den Mitarbeitenden von mehr als 40 Zeitschriften des Bertelsmann-Unternehmens RTL Deutschland. Am 7. Februar verkündete Rabe, der seit dem Sommer 2022 auch bei RTL Deutschland an der Spitze steht, auf einer Betriebsversammlung in Hamburg, dass die Sendergruppe 23 Magazine des alten „Gruner + Jahr“-Verlags (G+J) einstellen und rund 20 weitere verkaufen wolle (epd 6/23). Auf der vom Branchendienst „Medieninsider“ sogenannten Kill List stehen zahlreiche Ableger von Kernmarken (zum Beispiel „Geo Wissen“) und Ableger von Ablegern (zum Beispiel „Geo Wissen Ernährung“).
Neue Besitzer finden will RTL Deutschland unter anderem für die Zeitschriften „Business Punk“ und „Art“, seine Mehrheitsbeteiligung an der 11 Freunde Verlag GmbH & Co. KG, in der das Fußballmagazin „11 Freunde“ erscheint, und seinen 50-Prozent-Anteil an der Verlagsgruppe Deutsche Medien-Manufaktur („Landlust“, „Living at home“, „Essen & Trinken“).
Als diese Entscheidungen noch nicht verkündet, aber in wesentlichen Zügen bereits erahnbar waren, hatte der langjährige „Geo“-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ Anfang Februar bereits gewettert: „Es ist doch eine unfassbare Wertzerstörung, ausgerechnet den anerkanntesten Zeitschriftenverlag der deutschen Nachkriegsgeschichte, der fast in jedem Segment bis heute die anerkanntesten Marken hat, derart verhäckseln und verscherbeln zu wollen.“
Die - wenn man so will - Verhäckselung des Verlags hatte bereits mit dessen Eingliederung in RTL Deutschland begonnen, die im August 2021 verkündet wurde (epd 32/21). Die Firmen der unter dem Dach von Gruner + Jahr entstandenen Gruppe Applike, die Spiele und darauf zugeschnittene Bezahllösungen entwickelt, sowie die unter anderem im Content-Marketing-Sektor aktive Firmengruppe Territory wurden ebenso aus Gruner + Jahr herausgelöst und direkt bei Bertelsmann angesiedelt wie die Spiegel-Gruppe und Anteile an der DDV Mediengruppe, zu der die „Sächsische Zeitung“, die „Dresdner Morgenpost“ und die „Chemnitzer Morgenpost“ gehören.
Die Einverleibung des Traditionsunternehmens in die Kölner Sendergruppe hatten im Hamburger Verlagshaus am Baumwall 2021 drei „Hierarchen“ vorangetrieben: der Chief Operating Officer Oliver Radtke, der Unternehmenskommunikationschef Frank Thomsen (von Mitarbeitenden in Anspielung auf seinen Heimatort mit dem Spitznamen „Flensburger Spin-Doctor“ versehen) und der in einer Doppelrolle agierende Stephan Schäfer, zu dem Zeitpunkt bei G+J Vorstandsvorsitzender und bei RTL „Geschäftsführer Inhalte & Marken“ und noch früher multipler Chefredakteur am Baumwall.
Keine digitale Resilienz
Protest gegen die Pläne der Hierarchen flammte in der Belegschaft damals kaum auf - was zu einem Großteil den Rahmenbedingungen der Pandemie geschuldet war. Die internen Informationsveranstaltungen zur Zukunft mit RTL fanden online statt. Und beim Starren auf ein paar Kacheln spürt man, anders als bei einer Betriebsversammlung vor Ort, die Stimmung der Kolleginnen und Kollegen nicht. Es entstehen keine spontanen Gespräche unter Gleichgesinnten, die Vernetzung ist schwieriger. Ein Redakteur sagte damals resigniert: „Die Pandemie hat den Hierarchen bei ihren Plänen in die Hände gespielt.“ Alle drei genannten Manager haben 2022 das Unternehmen RTL Deutschland verlassen (epd 33-34/22, 47/22).
Nachdem Thomas Rabe nun die radikalen Maßnahmen bei den früheren G+J-Titeln bekanntgemacht hatte, kristallisierte sich in der öffentlichen Debatte unter anderem folgende Frage heraus: Wer trägt die Hauptverantwortung dafür, dass der Verlag im Digitalgeschäft bisher schwächer abschneidet als die Konkurrenz? Auf der Betriebsversammlung mit Rabe sagte Christoph Kucklick, Leiter der Henri-Nannen-Schule und vorher Chefredakteur bei „Geo“, im Haus sei „viele Jahre lang systematisch verhindert“ worden, „dass digitale Resilienz aufgebaut wurde“. Mit anderen Worten: Es wurde zu wenig getan, um den Verlag an den medienstrukturellen Wandel anzupassen. Dafür sei auch die „höchste Unternehmensspitze“ verantwortlich.
Rabe sieht das natürlich anders. Man räume den Geschäftsführern der Bertelsmann-Töchter „ein hohes Maß an Autonomie ein“, sagte er dazu im „Spiegel“-Interview. Als einen Beleg dafür, dass die Hauptverantwortung für die Digitalgeschäftsmisere in Hamburg die Spitzen in Gütersloh tragen, ziehen frühere G+J-Hierarchen gern den nicht zustande gekommenen Kauf des britischen Online-Meinungsforschungsinstituts YouGov heran. Vor elf Jahren wollte der damalige G+J-Vorstandsvorsitzende Bernd Buchholz das Unternehmen erwerben. Anfang 2012 habe Thomas Rabe den Deal aber „in letzter Minute abgeschossen - nachdem er, Rabe, diesen Weg zuvor als langjähriger Bertelsmann-Finanzvorstand und G+J-Aufsichtsrat mitgetragen hatte“, wie das Branchenmagazin „Horizont“ im Sommer jenes Jahres notierte.
Das Scheitern des Kaufplans trug maßgeblich dazu bei, dass der später als FDP-Politiker und Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein auf sich aufmerksam machende Buchholz Gruner + Jahr noch 2012 verließ. Den Wert von YouGov bezifferte der „Spiegel“ Ende Januar auf „eine Milliarde Euro“.
Völlig unklar ist derzeit, wie viele Personen von dem Radikalumbau in Hamburg betroffen sind. RTL Deutschland spricht von 500 Stellen, die durch die geplanten Titeleinstellungen wegfallen. Der Begriff „Stellen“ gibt allerdings keinen Aufschluss darüber, wie viele Teilzeitkräfte sich möglicherweise eine Stelle teilen.
Und wenn Thomas Rabe im „Spiegel“ davon spricht, dass man 200 Stellen „an andere Eigner“ übergebe, ist ebenfalls eine genauere Betrachtung notwendig. Erst einmal müsste ja der Verkauf aller Titel- oder Gesellschafteranteile an andere Unternehmen gelingen. Ob jene Mitarbeitenden, die derzeit auf diesen Stellen sitzen, auch nach einem gelungenen Verkauf noch ihren heutigen Job machen können, ist fraglich. Ein Unternehmen, das eine der nun angebotenen Zeitschriften kauft, plant womöglich, diese von einer in seinem Hause längst existierenden Gemeinschaftsredaktion produzieren zu lassen, die die Inhalte für mehrere Titel liefert. Diese „Befüllung“ unterschiedlicher Titel durch eine Redaktion ist längst gelebte Praxis in großen Zeitschriftenverlagen.
Die Fixierung auf Stellen lässt ohnehin außer Acht, dass bei den eingestellten Titeln ein wesentlicher Teil der Arbeit von freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erbracht wurde. „Bei vielen der Hefte wurden sicherlich 70 bis 80 Prozent der Texte von Freien zugeliefert, etwa bei 'Barbara'“, sagt Verena Carl, Mitglied des Verbands Freischreiber. In seinem Newsletter schreibt der Verband: „Für Scharen freier Journalistinnen und Journalisten ist der Schiffbruch des Verlagsflaggschiffs Gruner + Jahr eine echte Katastrophe.“
Der demokratische Wert
Zwar gab es, gerade von den Freischreibern, immer wieder Kritik daran, dass der Verlag die Honorare nicht erhöhte. Dennoch zahlten all die Magazine, die es nun nicht mehr geben wird oder deren Zukunft unklar ist, relativ gut. Absehbar ist, dass sich viele Betroffene es künftig nicht mehr leisten können, als Journalistin oder Journalist zu arbeiten. Auch die Perspektiven für (potenzielle) Berufseinsteiger verschlechtern sich weiter.
Es bietet sich an, den Fall Gruner + Jahr als Anlass für eine allgemeine Beschreibung der Lage der Medienbranche zu nehmen. In den vergangenen Tagen hat dies unter anderem der als Interviewpartner und Gastbeitragsautor viel gefragte Carsten Brosda getan. Der SPD-Politiker ist Senator für Kultur und Medien der Hansestadt Hamburg. Der „Süddeutschen Zeitung“ sagte er, er habe bei den Argumenten, die RTL Deutschland für die radikalen Maßnahmen bei seinen Zeitschriften nannte, „eine grundlegende Beschreibung vermisst, wie man sich die Zukunft des Unternehmens und der Medien generell vorstellt. Was ich gehört habe, war: Wir haben jetzt ein Problem, wir müssen jetzt Kosten reduzieren und wir wollen nach der erfolgten Kostenreduktion in bestimmten Geschäftsbereichen wieder investieren, um zu digitalisieren.“ Notwendig sei jedoch ein „positives Zukunftsbild“, damit „eine Vorstellung von der Zukunft entsteht, die auch motivieren kann“.
Was Brosda hier kritisiert, trifft in ähnlicher Form auf andere Medienunternehmen zu. Auch öffentlich-rechtliche Sender fallen zurzeit durch Ankündigungen auf, einerseits Kosten zu sparen und andererseits ins Digitale zu investieren, ohne dass darin eine inhaltliche Aufbruchstimmung oder eine Bereitschaft zu journalistischen Offensiven auszumachen wäre. In einem Gastbeitrag für den „Spiegel“ unter der Überschrift „So gerät der Journalismus in Gefahr“ betonte Brosda einen anderen Aspekt: Bei journalistischen Medien gehe es „nicht um x-beliebige Waren, sondern um Güter, die neben ihrem wirtschaftlichen auch einen so bedeutenden gesellschaftlichen und demokratischen Wert besitzen, dass es gilt, ihre Verfügbarkeit unabhängig von ihren Gewinnaussichten zu sichern“.
Nun wäre es sicherlich unangebracht, allen Titeln, die RTL Deutschland einstellen oder verkaufen will, einen „bedeutenden gesellschaftlichen und demokratischen Wert“ zu attestieren. Bei Zeitschriften, bei denen TV-Prominente als Namensgeber dienten, ist dieser Wert nicht so leicht auszumachen, bei dem Magazin „Geo Epoche“ dagegen, das historische Themen attraktiv aufbereitet, liegt er auf der Hand.
Zumindest im Fall des Geschichtsmagazins, das eigentlich auch auf der langen Streichliste steht, könnte es noch zu einem Umdenken bei RTL Deutschland kommen. Thomas Rabe hatte während seiner Rede in Hamburg noch gesagt, „Geo Epoche“ sei zwar profitabel, der Titel müsse aber wegen „bestimmter Prinzipien“ eingestellt werden. Jetzt gibt es aber einen „Hoffnungsschimmer am Horizont“. Das zumindest teilte die Redaktion des „Geo“-Ablegers am 13. Februar bei Twitter mit.
Aus epd medien 7/23 vom 17. Februar 2023